Titel: Der Pfirsichgarten
Autorin: Melissa Fu
Im Roman „Der Pfirsichgarten“ erzählt die heute in England
lebende, in den USA aufgewachsene Melissa Fu die berührende Geschichte von Dao
Renshu, einer fiktiven Figur, den das Leben von Changsha in der chinesischen Provinz
Hunan in den 1930er Jahren mit einigen Zwischenstationen ab 1968 nach Los
Alamos in New Mexico/USA führt. Das wunderschön gestaltete Cover fordert dazu
auf, das Buch in die Hand zu nehmen und in die Geschichte einzutauchen. Der
Titel erschließt sich erst im Laufe des Lesens; er nimmt Bezug auf eine alte
chinesische Sage in der ein Fischer durch Zufall einen üppig blühenden Garten voller
Pfirsichbäumen und mit glücklichen und zufriedenen Bewohnern betritt. Meilin, die
Mutter des Protagonisten, erzählt ihrem kleinen Sohn die Geschichte mit einem
erfreulicheren, von ihr erfundenen Ende, was er aber erst als Erwachsener bemerkt.
Dao Renshu ist der einzige Sohn des Sohns eines
Petroleumhändlers. Er trägt den Namen der Familie weiter und ist daher
besonders schutzwürdig. Sein Vater kehrt aus dem Zweiten Japanisch-Chinesischen
Krieg nicht nach Hause zurück. Gemeinsam mit seiner Mutter flieht er vor der
drohenden Besatzung. Immer wieder müssen sie vor Angriffen fliehen, bis sie es
auf die Insel Taiwan schaffen. Verluste begleiten sie auf ihrem Weg, aber
Meilin gelingt es mit ihrem Einfallsreichtum und zahlreichen Einschränkungen,
den Lebensunterhalt zu sichern. In ihrem Gepäck trägt sie fortwährend eine
kostbare Schriftrolle mit alten Märchen, die sie von ihrem Mann erhalten hat.
Für sie geht ein Traum in Erfüllung, als ihr Sohn ein Stipendium für ein
Studium in den Vereinigten Staaten erhält. Dort nennt Renshu sich Henry. Seine
Tochter Lily wächst nach seinem Wunsch weitgehend ohne Kontakt zur chinesischen
Kultur auf, bis sie sich als Studentin auf die Reise in die Vergangenheit ihres
Vaters begibt.
Melissa Fus Vater ist ebenso wie Renshu ein Einwanderer aus
Taiwan. Ihr Roman wurde von seiner Lebensgeschichte inspiriert. Meilin ist in
einer weltoffenen Familie groß geworden, die aber die Traditionen nicht
verleugneten. Sie war die einzige Frau ihres Manns und hat außer Renshu keine
weiteren Kinder. Obwohl jeder Anfang an einem neuen Ort schwierig ist, verfolgt
sie unnachgiebig zwei feste Ziele. Einerseits wünscht sie sich für ihren Sohn
eine schönere Zukunft als ihre eigene und andererseits möchte sie sich nicht
mehr fest an Jemanden binden. Die Sagen ihrer Vorfahren, die sie schon ihr
Leben lang begleiten, bieten ihre eine Rückzugsmöglichkeit, auch wenn diese nur
in ihrer Gedankenwelt existiert.
Renshu wächst trotz der Ortswechsel wohlbehütet durch seine
Mutter heran. Einige Entscheidungen von ihr kann er als Junge noch nicht
nachvollziehen, später lernt er, diese zu akzeptieren. Er nimmt wahr, dass
Bildung sehr nützlich ist und Anerkennung bringt. In der Schule entwickelt er
den Ehrgeiz, zu den Besten zu gehören. Bereits als Student versteht er sehr
bald, dass seine Kenntnisse auch für politische Systeme von Interesse sind, die
diese ungern einem anderen Land zugestehen. Renshus/Henrys Tochter Lily begreift
zunächst nicht, warum ihr Vater sich über seine Vergangenheit ausschweigt. Sie
muss erst ihre eigenen Werte entdecken und Unabhängigkeit erreichen, bevor sie
die Zusammenhänge sieht, ihre eigenen Schlüsse daraus zieht und dadurch zu sich
selbst findet. Geschichten werden auch für sie zu einem Schatz, aus dem sie
Erfahrungen gewinnt, durch die sie getröstet wird und durch die sie sich mit
ihrer Großmutter in der Ferne verbunden fühlt.
Der Roman „Der Pfirsichgarten“ ist ein großartiger Roman von
Melissa Fu. Zwar geschieht einiges Leid, das aber auch Neuanfänge hervorbringt
mit der Hoffnung auf eine verheißungsvollere Zukunft. Als Leserin tauchte ich
eine in eine mir noch weitgehend unbekannte ostasiatische Welt in den späten
1930er und 1940er Jahren und erlebte abwechslungsreiche Figuren, die sich je
nach Lebenslage neu ausrichteten. Das Buch war mir ein durchgehendes
Lesevergnügen und darum empfehle ich ihn gerne weiter.