Titel: Das Gesetz der Natur
Autorin: Solomonica de Winter
Übersetzerin: Meredith Barth
Erscheinungsdatum: 28.09.2022
Verlag: Diogenes (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover Leinen mit Schutzumschlag
ISBN: 9783257072181
Die Welt, in der die junge Gaia Marinos lebt, besteht in
ihrer Form erst seit „Jenem Tag“. Seither gilt „das Gesetz der Natur“, das dem
dystopischen Roman von Solomonica de Winter den Titel gegeben hat. Das darin
beschriebene zukünftige Amerika ist weitgehend abgeschnitten von der restlichen
Welt. In diesem neugegliederten Land haben sich über die Bundesstaaten hinweg
vier Stämme gebildet, die sich gegenseitig als Feind sehen. In jedem Stamm ist nur
eine einzige Person mit Lesen und Schreiben beauftragt.
Gaia lebt mit zwei erwachsenen Männern zurückgezogen im
Wald. Einer von ihnen hat ihr das Jagen beigebracht, der andere das Lesen,
welches er sich selbst zu früherer Zeit im Familienkreis heimlich angeeignet
hat. Als ihr Aufenthaltsort entdeckt wird, gerät sie in Gefangenschaft. Inzwischen
hat sie eine mystische Eigenschaft entwickelt, die für die Kriegsführung
nützlich ist. Sie wünscht sich ihr Leben im Wald zurück. Aber auch der ihr
anvertraute Auftrag, Bücher aus alten Zeiten an einem abgelegenen Ort zu
finden, hat für sie ihren Reiz. Darin wurden Worte der Vergangenheit
festgehalten.
Man bezeichnet Gaia als Mutantin, wobei der Begriff im Sinne
von verändertem Individuum gebraucht wird. Die Veränderung wird in ihrem
Aussehen deutlich und in einer bestimmten Eigenschaft. Seit Jenem Tag hat es
noch mehr solcher Individuen gegeben, aber die Menschheit war bestrebt, sie
auszurotten. Der genaue Grund wird nicht beschrieben und auch nicht, wodurch es
zu der Veränderung kam. Vielleicht findet Gaia die Antworten in den verborgenen
Büchern, die sie sucht. Weil der Roman Teil einer Serie liest er eventuell
darüber in der Fortsetzung.
Die Protagonistin hat ihre Eltern verloren. Das Leben in den
Wäldern ist mühsam, aber Gaia erfreut sich auch an der Natur. Für sie ist
Gerechtigkeit und Güte von Beginn an wichtig. Durch die Gefangennahme gerät sie
immer wieder in Situationen, in denen sie für sich abwägen muss, was gut ist
und was böse. Oft ist ihr Leben in Gefahr. Die Autorin wirft indirekt die Frage
auf, wie viel ein Leben Wert ist. Die neuen Gesetze der Stämme regeln das
Zusammenleben der Menschen auf eine rigide Weise. Ausschluss aus der
Gemeinschaft und Tod drohen den Abweichlern ebenso wie den Angehörigen.
Entsprechend der harten Linie, gestaltet sich der Kampf der Stämme gewaltsam.
Gaia durchläuft eine harte Ausbildung in militärischer Auseinandersetzung. Von
ihr wird Gehorsam verlangt ohne Rücksicht auf ihre eigenen Gefühle.
Im Amerika des Romans ist die Rollenverteilung klassisch,
wobei Gaia eine besondere Position einnimmt. Ihre Einzigartigkeit macht sie
überall bekannt und zunehmend ist es für sie schwieriger, sich zu verbergen,
weil ihr Ruf ihr vorauseilt und stigmatisiert sie. Ihr Anspruch darauf, gerecht
zu handeln, gerät immer wieder ins Wanken. Es gelingt ihr nicht, auf Rache zu
verzichten. Gaia spürt zunehmend die Last ihrer Schuld für ihre Handlungen, die
keine Güte zeigen.
Der Schreibstil der Autorin ist eigenwillig. Er wirkt
manchmal distanziert und versucht Gaias Entscheidungen zu begründen.
Gelegentlich finden sich Balladen in den Kapiteln. Sie lenken die
Aufmerksamkeit des Lesenden auf sich. Im Mittelteil kommt es während der
Kampfvorbereitungen zu Längen.
Der Roman „Das Gesetz der Natur“ von Solomonica de Winter
hatte auf mich eine unerwartet fesselnde Wirkung. Bestürzt verfolgte ich die
Entwicklung der Stämme im neuen Amerika, die meiner Meinung nach wenig aus dem Fehlern
ihrer Vorfahren gelernt haben. Zum Ende hin bleibt die Hoffnung, dass Gaia in
der Fortsetzung der Serie durch ihre Entdeckung ein Stück Frieden in die Welt
tragen kann. Aufgrund der teilweise gewalttätigen Darstellung mancher Aktionen
vergebe ich eine eingeschränkte Leseempfehlung an ältere Leser von Dystopien.