Rezension von Ingrid Eßer
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Das Buch „Lichte Tage“ der Engländerin Sarah Winman erzählt die Geschichte von Ellis und Michael, die sich als Zwölfjährige kennenlernen. Ihre Freundschaft wächst mit den Jahren und verändert sich mit der Zeit bis zu einem verhängnisvollen Tag. Als Leserin begegnete ich Ellis im Jahr 1996 zum ersten Mal. Er ist 45 Jahre alt, lebt in Oxford und arbeitet in einer Fabrik für Automobile. Seine Mutter Dora hat er im Teenageralter verloren. Sie hat seine sensible Seite gemocht und diese vor dem Vater geschützt, der Ellis dazu aufgefordert hat das, was er unter männlichem Verhalten versteht, offen zu zeigen.
Das Cover des Romans erinnert daran, dass Dora auf einer
Tombola ein Gemälde mit Sonnenblumen gewonnen hat, einer Reproduktion eines der
Bilder des berühmten Malers van Gogh. Das Werk übernimmt im Leben der
handelnden Personen mehrfach eine entscheidende Rolle. Dora bringt es
beispielsweise dazu, zum ersten Mal gegen ihren Mann aufzubegehren.
Eine Krankschreibung nach einem Fahrradunfall gibt Ellis die
Möglichkeit, sein Leben zu reflektieren. In Rückblenden schaut er auf die
unbeschwerte erste Zeit seiner Freundschaft zu Michael, die sich in ihrer Beschaffenheit
in einem gemeinsamen Urlaub in Frankreich nachdrücklich verändert. Ende der
1970er Jahre galt gleichgeschlechtliche Liebe immer noch als unsittlich und
erfuhr Ausgrenzung aus der Gesellschaft und damit auch berufliche Konsequenzen.
In Stellvertretung für diese Auffassung dafür steht Ellis Vater. In den Handlungen
von Ellis ist zu spüren, dass er mit seinen Gefühlen zu Michael kämpft nachdem
sein Vater ihn zurechtgewiesen hat. Als Annie in seine Welt tritt, wird sie für
ihn zum Ankerpunkt.
Erst viele Jahre später erfährt Ellis und damit auch der
Lesende, welche Emotionen Michael in dieser Zeit empfindet und wie dieser zu
einem Suchenden nach einem neuen Anfang für sich wird. Dadurch, dass Michael
aus der Ich-Perspektive erzählt, kommen seine Erlebnisse dem Lesenden sehr nah
und wirken besonders berührend, weil er einige Verluste zu verschmerzen hat.
Annie behält im Roman eine Nebenrolle, die aber metaphorisch für die allgemein
wachsende Akzeptanz der Homosexualität gesehen werden kann.
War der erste Teil des Buchs „Lichte Tage“ von Sarah Winman, in dem Ellis im Fokus steht, eine einfühlsame Auseinandersetzung der Freundschaft zweier heranwachsender Jungen, so folgte darauf eine emphatische Darstellung mit einer unbesiegten Krankheit in den 1980ern, mit dessen Folgen Michael sich in seinem Umfeld über Jahre hinweg täglich auseinandersetzen muss. Freundschaft, Liebe und gemeinsame schöne Stunden stehen Tragik, Einsamkeit und schwindender Hoffnung gegenüber. Die Geschichte ist in einem unaufgeregten Schreibstil geschrieben, bewegt und hallt noch länger nach. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.