Im Roman „Blautöne“ nimmt die Dänin Anne Cathrine Bomann sich
des interessanten Themas an, ob es gegen anhaltende Trauer ein Medikament geben
sollte. Der Titel ist eine Anspielung auf die Blue Notes in der Musik, die sich
meist im Blues in drei unterschiedlichen Tonstufen Ausdruck finden und auch als
traurige Noten bezeichnet werden. In der Erzählung stehen die Blautöne in Bezug
auf die Abweichungen von den Normalwerten innerhalb einer Skala, die
beachtenswert sein sollten, aber aus Gründen lieber unberücksichtigt bleiben,
weil sie den Durchschnitt verzerren.
Thorsten Gjeldsted ist Psychologieprofessor an der
Universität Aarhus und Leiter eines Teams, dass ein kurz vor der Zulassung
stehendes Trauermedikament einer Feldstudie unterzieht. Das Pharmaunternehmen
rechnet mit einem großen Erfolg des Arzneimittels. Nach Vorlage einer Statistik
fallen Thorsten Werte auf, die einen Zusammenhang zeigen zwischen der
Verbesserung des Gemütszustands der Probanden und der Abnahme ihrer Empathie.
Die Besorgnis von Elisabeth Nordin wächst zusehends, weil sie um die Schwächen
des Medikaments weiß. Sie ist Forschungsleiterin des Pharmaherstellers und hat
das Medikament selbst erprobt, ohne das andere davon wissen. Es beginnt ein
spannender Wettlauf mit der Zeit, ob die Arznei eine Zulassung erhält.
Anne Cathrine Bomann verpackt das Für und Wider, anhaltende
Trauer durch die Einnahme eines Medikaments zu lindern, in eine ansprechende
Geschichte. Die Autorin arbeitet als Psychologin und jederzeit hatte ich das
Gefühl, sie weiß, wovon sie schreibt, eventuell auch aufgrund eigener Erfahrung
und Kenntnis. Es gelingt ihr die Vermittlung an den Lesenden auf verständliche
Weise. Neben Thorsten und Elisabeth stellt sie außerdem die beiden Studentinnen
Anna und Shadi in den Fokus, die sich in der Phase des Schreibens ihrer
Masterarbeit befinden. Im Laufe des Lesens erfuhr ich mehr über die psychischen
Probleme der beiden und darüber, wie sie diese auf sehr unterschiedliche Weise verarbeiten.
Auch hierbei wird das den Roman überlagernde Thema des Nutzens einer Medikation
aufgeworfen.
Zu Beginn der Geschichte erzählt Anne Cathrine Bomann aus
welchem Grund Elisabeth auf die Idee kam, eine Arznei gegen pathologische
Traurigkeit zu erforschen. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich Verständnis für die
Figur aufbringen, doch ihre Handlungen ließen ihre Sympathiepunkte bei mir
zusehends schwinden. Dennoch ist eine solche Entwicklung realistisch
vorstellbar. Die Protagonistin verkörpert nachvollziehbar die Sichtweise der
Pharmazie.
Der Roman „Blautöne“ von Anne Cathrine Bomann hat mich
begeistert aufgrund der unaufdringlichen Argumentation, ob und wann ein
Arzneimittel hilfreich ist. Gleichzeitig zeigt sie beispielhaft auf, wie
wichtig es ist, Gefühle zuzulassen. Sie findet mit ihrem Schreibstil genau den
passenden Ton einer konstruktiven Auseinandersetzung, ohne sich selbst fest zu
positionieren. Ihre Figuren überzeugen durch ihre Realitätsnähe. Das Thema des
Buchs ließ mich nach dem Lesen nachdenklich zurück. Sehr gerne empfehle ich es
weiter.