Rezension von Ingrid Eßer
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Das Buch „Sommerhaus, später“ ist der erste Erzählband von Judith
Hermann, den sie vor etwa 25 Jahren geschrieben hat und der jetzt neu aufgelegt
wird. Die Geschichten fanden damals große Beachtung und Lob. Insgesamt sind
neun Erzählungen beinhalten. Der Titel wurde einer von ihnen entlehnt. Einige
der Kurzgeschichten wurden inzwischen verfilmt und beziehungsweise oder
vielfach als Schullektüre analysiert. Sie sind sehr unterschiedlich, jedoch
konnte ich auch einige Gemeinsamkeiten erkennen. Allem voran fiel mir auf, dass
häufig geraucht wird, sehr viel. Oft wird Alkohol konsumiert, manchmal gekifft
und weil es noch nicht erfunden war, schaut niemand auf sein Handy oder tippt
darauf herum. Dennoch stellt sich das Ambiente als nicht so entspannt dar, wie es
vielleicht zunächst klingt. Jede der Geschichten überraschte mich mit
unterschiedlichem Inhalt und interessanten Figuren.
In allen Erzählungen ist eine der ProtagonistInnen eine
junge Frau, die das Leben zu genießen sucht, was ihr aber nicht immer nach
ihrer Vorstellung gelingt. Dabei erscheint es so, als ob sie ihren Wunsch manchmal
nicht genauer spezifizieren können. Ihr Verhalten findet zuweilen wenig
Verständnis bei Bekannten und Unbekannten, Freunden und Verwandten. Sie sind
Suchende nach einer haltbaren Tragfähigkeit ihres Lebens. Auch die übrigen
Figuren sind abwechslungsreich gestaltet wie beispielsweise ein Künstler, der
sich nicht zwischen zwei Frauen entscheiden will, ein alternder Hausbewohner
mit Herz für die Jugend und ein Autor, der die Abgeschiedenheit sucht.
Der einfühlsame Sprachstil der Autorin hat über die Jahre
hinweg nichts an Reiz verloren. Es gelingt ihr, die die Gefühle ihrer Figuren
zum Lesenden hinzutransportieren. Rund um die von ihr geschilderten Handlungen
schafft sie eine besondere Atmosphäre, die aus den Zeilen zu spüren ist. Ihre
Fähigkeit, das Handeln der Personen begreiflich zu beschreiben, warf bei mir
die Frage auf, ob Judith Hermann die Situationen, zumindest einige, aus eigener
Erfahrung her aufgeschrieben hat.
Auch viele Jahre nach Erscheinen der Erstausgabe zeigen die
Erzählungen im Buch „Sommerhaus, später“ ein Lebensgefühl in verschiedenen
Szenarien, die Ende der 1990er spielen, bei dem für die ProtagonistInnen gilt,
dass vieles Kann und nichts Muss. Das offene Ende regt dazu an, sich die
folgenden Handlungen der Figuren vorzustellen. Meiner Meinung nach haben die
Geschichten einen Platz in jedem Bücherregal verdient und daher vergebe ich
gerne eine Leseempfehlung.