Das Buch „Wir hätten uns alles gesagt“ von Judith Hermann
gibt die Vorlesungen wieder, die die Autorin im Rahmen einer Poetik-Vorlesungsreihe
an der Goethe-Universität in Frankfurt an drei Abenden gehalten hat. Jedes
Semester wird ein Autor oder eine Autorin zur Dozentur über Fragen zur
poetischen Produktion und ihren Bedingungen ausgesucht. In diesem Rahmen kann
er oder sie das Thema frei wählen. Dem vorgenannten Titel des Buchs wurde
erläuternd ein „Vom Schweigen und Verschweigen im Schreiben“ angehängt. Hierin
deutet sich an, dass Judith Hermann den Versuch wagt, den zuhörenden
StudentInnen beziehungsweise den Lesenden ihres Buchs ihren Schreibkosmos zu
erläutern.
Im Buch erklärt sie in einem kurzen Prolog wie der Text der
Vorlesungen beziehungsweise des Buchs entstanden ist, in den sich persönlich
Erlebtes eingemischt hat. Bewusst bringt sie sich dabei nicht selbst ins Spiel,
sondern aus einer überlegenden späteren Draufsicht, ohne dafür die Gründe zu
benennen, aber passend zum anschließenden Mysterium, wieviel Wahrheit in den
autobiografisch angelehnten, erzählten Begebenheiten liegt.
Ausgangspunkt für die Geschichte ist Judith Hermanns
Begegnung mit ihrem früheren Psychoanalytiker. Allerdings warfen ihre Aussagen
über das, was und wie sie Selbsterlebtes beim Schreiben festhält, die gewollten
Zweifel bei mir auf, ob das Erzählte der Realität entspricht. Denn die Autorin
wendet das Geschehene wieder und wieder und reduziert dabei auf das, was ihr
bemerkenswert erscheint. Ihr ist bewusst, dass dabei Vieles verlorengeht, aber
rund um das Zurückbleibende baut sie ihre Geschichten auf und füllt sie mit
Fantasie. Ich empfinde das als eine besondere Kunstform.
Bisher war die Autorin zurückhaltend damit, Informationen
über sich selbst an die, Öffentlichkeit zu geben. Im vorliegenden Buch „Wir
hätten uns alles gesagt“ erzählt Judith Hermann beispielhaft von Geschehnissen,
in die ihre Eltern, Verwandte, Freunde und Bekannte eingebunden sind, die sie
seit ihrer Kindheit durchs Leben begleitet haben. Dennoch erhält sie sich
aufgrund ihres individuellen Schreibstils das Rätsel um den Wahrheitsgehalt des
Erzählten. Ein Buch, wie kein anderes, das ich daher gerne empfehle.