Anne Prettin
erzählt in ihrem Roman „Der Ruf des Eisvogels“ die Geschichte dreier
Generationen von Frauen einer Familie im Zeitraum von 1925 bis ins Jahr 1991. Das
blumige Cover steht in Verbindung mit der Schönheit der Natur, die von einigen
Familienmitgliedern geschätzt wird. Demgegenüber liegen vor allem über dem
Leben von Olga, der Mutter von Becki und Großmutter von Sara, dunkle Schatten.
Nach Aussage ihres Großvaters, den sie Pa nennt, manifestierte sich die Seele der
Mutter von Olga, die bei ihrer Geburt starb, in Form eines Eisvogels, den sie
zwar selten, aber doch immer wieder zu Gesicht bekommt und auf diese Weise eine
bleibende Verbindung schafft.
Zu Beginn
des Buchs schildert die Autorin die Szene der Geburt von Olga, die mir als
Leserin die Kenntnis über ein Geheimnis von Olgas Vater gab. Hierin erklärt
sich dessen weiteres Verhältnis zu seiner Tochter, über das die Protagonisten
viele Jahre rätselt, denn sie fühlt sich von ihm abgelehnt. Stattdessen wird
sie von ihrem Pa und einer Haushälterin umsorgt.
An der Seite
ihres Großvaters lernt sie die Natur ihres Heimatorts in der Uckermark kennen,
schaut ihm bei den Behandlungen seiner Patienten zu und darf ihm in jungem
Alter bereits assistieren. Für sie gibt es entgegen den Konventionen der Zeit
keinen anderen Berufswunsch als ebenfalls Ärztin zu werden. Olga ist
eingebunden in ein Ortsleben, in dem jeder jeden kennt und aus Freundschaften
Ehen entstehen. Doch die Ideologie des Nationalsozialismus verändert die
Gesinnung einiger Dorfbewohner und die Freiheit des Einzelnen wird dadurch immer
mehr eingeschränkt.
Die
Vergangenheit wird von Anne Prettin im Buch in Rückblenden erzählt, die
eingebunden sind in das Geschehen im niedersächsischen Oldenburg, dem Wohnort
von Olga im Jahr 1991. Becki und Sara wissen wenig über die Kindheit und
Jugendzeit von Olga. Daher schenken sie ihr zum anstehenden Geburtstag eine
Reise in die Uckermark. Mit und mit erfuhr ich als Leserin früheren bedrückenden
Ereignissen, die dazu führten, dass Olga die Reise nicht antreten möchte. Sie
hat inzwischen ihren Frieden mit dem damals Erlebten geschlossen und fürchtet
die Begegnung mit Freunden und Bekannten aus ihren jungen Jahren.
„Der Ruf des
Eisvogels“ beschreibt aber noch mehr als Dorfleben der jungen Frau während des
Zweiten Weltkriegs. Anne Prettin begleitet Olga auf ihrem weiteren Weg in den
Nachkriegstagen ins Ostseebad Kühlungsborn, bis sie eine neue Heimat findet im
weitgehend unzerstört gebliebenen Oldenburg. Sehr gute Recherche lassen eine
Historie voller Leid lebendig werden. Währenddessen hält die Autorin aus
Spannungsgründen bis zum Ende hin die Frage offen, was in den letzten
Kriegstagen geschah, in der Zeit, als Becki geboren wurde.
Sowohl Olga
wie auch ihre Tochter und Enkeltochter haben ihre eigenen Vorstellungen vom
Leben, für die sie kämpfen. Becki sucht als Restauratorin im Gegensatz zu ihrer
naturverbundenen Mutter keine Heimat, sondern erhält sich ihre Neugierde auf
die Erkundung neuer Örtlichkeiten, denen sie ihre Schönheit wiederschenken
möchte. Sara weiß als junge Frau bereits genau, was sie möchte, vielleicht weil
für sie immer jemand an ihrer Seite war, von dem sie geliebt wurde.
In ihren
Roman „Der Ruf des Eisvogels“ verpackt Anne Prettin über einige unerwartete
Wendungen hinweg eine Geschichte voller Freundschaft und Eifersucht zwischen
Jugendlichen, dem Kampf gegen widersinnige Ideologie, dem Einsatz für ein
selbstbestimmtes Leben und der unauflösbaren Liebe zwischen Mutter und Kind.
Sehr gerne empfehle ich den vielseitig gestalteten Roman weiter.