Elizabeth Anne Nicholls, kurz Libby genannt, hat sich von
ihrem Freund getrennt. Mit dem in London verkehrenden Bus der Linie 88 ist sie auf
dem Weg zur Familie ihrer Schwester, wo sie ein paar Tage Unterkunft findet,
bevor sie entscheidet, wie es nun für sie weitergehen wird. Auf der Fahrt lernt
sie Frank kennen, der bereits über 80 Jahre alt ist. Sie kommen ins Gespräch
und er erzählt ihr von einer jungen Frau, die er vor sechzig Jahren im Bus auf
derselben Linie getroffen hat. Leider hat er damals ihre Telefonnummer verloren
und seitdem hat er die Hoffnung nicht aufgegeben, sie auf einer seiner Busfahrten
wiederzusehen. Das Gespräch mit ihr hat ihn dazu gebracht, entgegen den
Vorstellungen seiner Eltern seinem lange gehegten Berufswunsch nachzugehen.
Libby und Frank sind die Protagonisten im Roman „Menschen,
die wir noch nicht kennen“ der Engländerin Freya Sampson. Der Titel nimmt Bezug
auf die spannenden Momente, die sich ergeben können, wenn man mit unbekannten
Personen ins Gespräch kommt und deren Geschichten erfährt, was gut in Bus und
Bahn möglich ist.
Für Libby ergeben sich in Folge des Gesprächs mit Frank
einige Änderungen im Leben. Mit ihren fast 30 Jahren hat sie ihre Arbeitsstelle
im Büro ihres Freunds nach der Trennung von ihm aufgegeben. Ihre Schwester
bittet sie, für das erkrankte Kindermädchen einzuspringen. Um den Tag mit einer anderen Aufgabe zu
füllen, beschließt sie, Frank bei seiner Suche behilflich zu sein. Sein
Vorgehen bei der Berufswahl hat sie zum Nachdenken über ihre eigenen
Möglichkeiten gebracht.
Zunächst ist Libby nicht bewusst, dass ihr aufgrund der
festgestellten Demenz von Frank nur wenig Zeit für die Suche bleibt. Bei der
Umsetzung erster Ideen lernt sie Personen kennen, denen sie von ihrem
Engagement erzählt und die ihr anbieten, sie zu unterstützen. Vor allem Dylan,
der Frank stundenweise dabei hilft, den Alltag zu bewältigen, wird zu ihrer
großen Hilfe. Er ist ein Punk und seine Vergangenheit birgt eine schwierige
Kindheit. Die Sympathie zwischen Libby und ihm gleicht einer Achterbahnfahrt,
was der Romanhandlung Würze verleiht.
Immer wieder sind Kapitel eingeschoben, in denen eine dem
Lesenden unbekannte Peggy als Ich-Erzählerin fungiert. Mit und mit konnte ich
mir anhand verschiedener Details ein Bild von ihr und ihrem Umfeld schaffen. Es
bleibt lange verborgen, in welchem Zusammenhang sie zu Frank und Libby steht. Meine
erste Vermutung erwies sich als Irrtum.
Frank hat als junger Mann nach dem Gespräch mit der von ihm
bis heute gesuchten Die Geschichte kann als Aufforderung gesehen werden, den
Menschen in der Umgebung mehr Aufmerksamkeit zu schenken und nicht nur über
Soziale Medien zu kommunizieren. Die Autorin hat die Handlungen der Figuren
glaubhaft und einfühlsam gestaltet. Sie zeigt, dass Freundschaften unabhängig
von Alter, Geschlecht, Herkunft und Aussehen bestehen. Einige unerwartete
Wendungen überraschten mich beim Lesen.
Der Roman „Menschen, die wir noch nicht kennen“ von Freya
Sampson ist eine einfühlsame Erzählung mit Figuren, die trotz oder gerade aufgrund
ihrer Verschiedenartigkeit in Freundschaft zueinander finden und sich
gegenseitig Hilfe bieten. Die Protagonistin Libby erhält dadurch den Rückhalt,
den sie benötigt, ihr Leben neu auszurichten und zu sich selbst zu finden. Sehr
gerne empfehle ich das Buch weiter.