Rezension von Ingrid Eßer
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Zwei Frauen und 500 Jahre, die sie voneinander trennen und
dennoch findet Jarka Kubsova in ihrem Roman „Marschlande“ verbindende Elemente
in deren Suche nach einem eigenständigen Leben. Abelke Bleken lebte im 16.
Jahrhundert und ist eine historisch verbürgte Person, die die Autorin mit Leben
füllt. Die im Südosten Hamburgs ansässige Britta Stoever ist dagegen eine rein
fiktive Figur, in deren Charakter sich manche Leserin sicher wiederfinden wird.
Der Alltag der beiden ist sehr verschieden in eben jener, als Marschlande
bezeichneten Gegend, stellt aber die zwei Frauen in ihrer jeweiligen Zeit vor besondere
Herausforderungen.
Abelke bewirtschaftet den großen geerbten Hufnerhof ganz
allein, nachdem ihr Personal nach einem Deichbruch sie verlassen hat, um
andernorts mehr zu verdienen. Sie steht in der Verantwortung, die Schäden am
Deich in kurzer Zeit ausbessern zu müssen. Ihre Hoffnung auf Hilfe schwindet
immer mehr und sie erkennt, dass ihre Rolle als Frau damit in Zusammenhang
steht, denn die meisten ihrer Zeitgenossen und -genossinnen sehen das weibliche
Geschlecht als Versorgerin von Küche und Kindern. Aber Abelke ist ohne
Partner*in.
Auch Brittas Mann sieht Jahrhunderte später seine Frau am
liebsten am Herd und in der Umsorgung der Tochter und des Sohns. Er selbst ist
im Beruf erheblich eingespannt und stolz darauf, mit seinem Gehalt den
kürzlichen Hauskauf finanzieren zu können. Britta erhält in ihrem Halbtagsjob,
dessen Anforderungen hinter ihren Kenntnissen zurückbleiben, kaum Anerkennung.
Bei beiden Frauen nährt sich die Wut darüber, dass sie nicht
gleichberechtigt behandelt werden. Abelke fühlt sich im Vergleich mit anderen
Hufbauern zurückgesetzt und Britta spürt das Ungleichgewicht, wenn es um die
Aufgabenverteilung in ihrer Ehe geht. Dabei nutzt auch Reden nichts, denn
diejenigen, die ihren Vorrang erworben haben und damit auch eigene Vorteile,
werden von ihrer Position kaum weichen. Wenn sie aus ihrem Umfeld heraus
unterstützt werden, kann es sein, dass sie gleicher als gleich werden; Orwell
lässt grüßen. Währenddessen staut sich bei den Frauen der Frust an.
Britta beschäftigt sich mit dem Schicksal Abelkes, nach der
in Hamburg eine Ringstraße benannt ist, und wird sich dabei umso mehr ihrer
eigenen Probleme bewusst. Anders als früher findet sie heute offene Ohren für
ihre Sorgen und vermag es, Konsequenzen zu ziehen.
Jarka Kubsova bindet die von ihr geschilderten
Lebensabschnitte der Frauen in eine Umgebung ein, die häufiger extremen
Wetterkapriolen ausgesetzt ist. Stürme und Überschwemmungen fordern den
Bewirtschaftern der Böden einiges ab. Dank der schnörkellosen Beschreibungen
konnte ich mir die Gegend beim Lesen gut vorstellen und empfand sowohl die
Härte der damaligen Bestellungsarbeiten wie auch die Schönheit der malerischen
Landschaft, wie sie sich bis heute darstellt.
In ihrem Roman „Marschlande“ beschreibt Jarka Kubsova einfühlsam zwei Frauenleben, die durch viele Jahrhunderte getrennt sind und in denen sich dennoch Gemeinsamkeiten in ihrem Streben nach Selbstbestimmung finden. Wie in ihrem Buch „Bergland“ setzt sie auch hier eine Akzentuierung auf das Ansehen der Arbeit von Frauen und zeigt im Vergleich von damals und heute, wie klein der Fortschritt auf dem Gebiet der Gleichberechtigung ist. Für mich ist das Buch erneut ein Lesehighlight und darum empfehle ich es gerne weiter.