In der utopischen Welt ohne Kriege, in der Ilija Trojanows
Roman „Tausend und ein Morgen“ spielt, hat die Menschheit es geschafft, einige
ihrer heute größten Probleme zu lösen. Der Klimawandel, die Armut und der
Hunger gehören dazu. Die Protagonistin Cya beendet gerade ihre Ausbildung zur
Chronautin, einer Berufsgruppe, die in die Vergangenheit zu Zeitpunkten reist,
von denen sie sich erhoffen, dass sie dort eine kleine Änderung vornehmen
können, die dann zu mehr Friedlichkeit führt. Eine Einmischung in den
Handlungsablauf ist nicht einfach und scheitert öfters als erwünscht. Folgen
durch die Änderung für ihre eigene Welt befürchten die Chronautin nicht, weil
sich das Universum sowieso unentwegt verzweigt. Darauf nimmt der Titel Bezug,
der auf die vielen Möglichkeiten hinweisen möchte, die der Menschheit zur
Verfügung stehen, ein Leben zu gestalten und dabei sein Potential einzusetzen.
Bei der Zeitreise ist die Begleitung durch eine künstliche
Intelligenz sinnvoll. Ilija Trojanow nutzt sie dazu, um Cya Erklärungshilfen in
einer ihr weitgehend unbekannten Umgebung zu geben und dadurch auch dem
Lesenden. Die KI entwickelt sich aufgrund des zugewonnenen Wissens weiter, was
aber zu der Gefahr führt, dass ihr Algorithmus zusammenbricht. Auch ein Buddy
steht jedem Chronistin zur Seite. Außerdem ist die Reisezeit beschränkt. Dabei
hat Cya anfangs das Problem, sich der Situation von Anwesenden im Damalsdort,
wie sie die Vergangenheit nennen, unbemerkt zu entziehen, um in ihre Gegenwart
zurückzukehren. Obwohl die Chronistin bei ihren Reisen über körperliches
Empfinden und Gefühle verfügt, stirbt sie bei einem dabei eintretenden Tod
nicht in ihrer utopischen Welt. Durch die Erfahrungen können sich die Eindrücke
verändern. Bisher waren Chronistin nicht so erfolgreich wie gewünscht, aber sie
machen Fortschritte.
Ihre Raumzeitreisen führen Cya ins 18. Jahrhundert zu
Piraten in der Karibik, in unserer Gegenwart nach Indien zu religiösen
Fanatikern, ins Jahr 1984 zu den Olympischen Spielen und schließlich in die
Zeit der russischen Revolution. Derweil kommt es auch in der utopischen
Gegenwart zu Konflikten. Es steht die Frage im Raum, was passiert, wenn Jemand
durch die Einwirkung eines anderen stirbt. Ebenso zeigt der Autorbeispielhaft
einen möglichen Umgang der zukünftigen Gesellschaft mit einem Andersdenkenden.
Ilija Trojanow spielt in seinem Buch mit der Präsentation
des Geschriebenen. Allgemeine Handlungsabläufe sind im Blocksatz gedruckt. Die
reichlichen Dialoge sind linksbündig gesetzt, wenn sie in der Zukunft geführt
werden, solche im Damalsdort sind rechtsbündig und die Hinweise der Künstlichen
Intelligenz immer kursiv. Übergänge werden mit einer fettgedruckten Phrase
angedeutet. Ich gebe zu, dass der Schriftsatz auf mich auf den ersten Blick
einen ansprechenden Eindruck machte. Zu Beginn des Lesens war ich kurz
irritiert, aber eine Orientierung mit Zuordnung gelang mit nach wenigen Seiten.
Der Autor taucht in die verschiedenen Gesellschaften der
Vergangenheit tief ein. Cya betritt bei jeder Reise eine unbekannte Situation.
Durch ihre Beschreibungen konnte ich mich als Leserin gut einfinden. Die
Dialoge kommen in der Regel ohne zusätzliche Ergänzungen von Bewegung und
Lautmalerei aus. Neue Figuren stellen sich dabei meist selbst vor und erzählen
aus ihrem Leben. Ilija Trojanow lässt die Personen mit unerschöpflichen
Aspekten von einer Welt voller Missständen, Gewalt und Machtansprüchen
erzählen. Die Freude an der Formulierung ist den geschilderten Geschehnissen
anzumerken. Für die Protagonistin ist es nicht einfach, als friedfertiger
Mensch in einer raubeinigen oder oft barbarischen Umgebung authentisch zu
erscheinen und nicht aufzufallen. Auch wenn ihr dabei die künstliche
Intelligenz zur Seite steht, muss sie immer bedenken, dass diese nur ihre
Aufgaben zu erfüllen hat und ihr nicht gefühlsmäßig nahe rücken darf. Jede
Zeit, in die der Autor den Lesenden eintauchen lässt, hat Themen, die er
mühelos am Rande ausformuliert, darüber sinniert und dadurch zum Nachdenken
anregt.
Im Roman „Tausend und ein Morgen“ führt Ilija Trojanow uns
vor Augen, dass unsere Welt von uns gemacht wird. Jede unserer Entscheidungen läuft auf weitreichende Folgen hinaus, nicht nur für uns, sondern auch für andere.
Allerdings moralisiert er nicht, sondern stößt beim Lesenden manchen
Gedankengang an mit der Frage, was denn wäre, wenn anders entschieden und
gehandelt würde. Ich bin der Chronistin gerne auf ihren Wegen gefolgt. Das Buch
ist für Lesende geeignet, die fantastische Ausflüge und grenzüberschreitendes
Schreiben mögen.