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Samstag, 28. Oktober 2023

Rezension: Sylter Welle von Max Richard Leßmann


Sylter Welle
Autor: Max Richard Leßmann
Hardcover: 224 Seiten
Erschienen am 17. August 2023
Verlag: Kiepenheuer & Witsch

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Max hat im Laufe der Jahre viele Sommer mit seinen Großeltern auf Sylt verbracht. In diesem Jahr haben sie angekündigt, ein letztes Mal auf die Insel zu fahren. Der erwachsene Max besucht sie für drei Tage. Dabei reflektiert er die Beziehung zu seiner Oma Lore und seinem Opa Ludwig. In welcher Hinsicht hat sich seine Rolle als Enkel verändert, und was ist heute noch immer genau so wie er es in Erinnerung hat?

"Sylter Welle" ist der erste Roman von Max Richard Leßmann und eine Autofiktion, zu welcher er inspiriert wurde, als er tatsächlich seine Großeltern auf Sylt besucht hat. Das Buch beginnt mit Max' Eintreffen auf der Insel, wo ihn seine Oma Lore zu Fuß abholt. Er erinnert sich daran, dass sie ihn früher immer mit einem Opel Vectra abgeholt hat, in dem es nach Apfelringen roch. 

Die drei Tage auf Sylt sind der Rahmen für eine gedankliche Zeitreise, auf die Max sich begibt. Immer wieder taucht er in neue Szenen und unterschiedlich alte Erinnerungen ein. Dabei lernte ich Max' Großeltern als Charaktere kennen, die in ihrem Leben viel durchgemacht haben, ihre Gefühle dabei aber nie sonderlich stark nach außen getragen haben. Ihre Liebe zu Max und den anderen Familienmitgliedern drückt sich eher in Taten aus. 

Mich haben die Schilderungen dazu gebracht, die Beziehung zu meinen eigenen Großeltern zu reflektieren und nach Ähnlichkeiten und Unterschieden zu suchen. Viele Beoabchtungen zeigen das grundsätzliche Spannungsfeld zwischen den Generationen auf, in denen ich mich oftmals wiederfinden konnte. Der Wandel der Rolle des Enkelkinds wird gelungen dargestellt. In mancherlei Hinsicht hören die Großeltern nicht auf, sich zu kümmern, doch es kommt vermehrt zu Situationen, in denen sich dies umkehrt.

Die Erinnerungen beschränken sich nicht nur auf Max und seine Großeltern, sondern beziehen auch seinen Vater und dessen Geschwiester sowie seine Mutter mit ein. Verschiedene Anekdoten über Vorfälle in Max' Familie oder die Reaktionen auf seine eigenen Verfehlungen ließen mich mal schmunzeln, mal stimmten sie nachdenklich. Das Beziehungsgeflecht der Familie mit seinen Allianzen und Konflikten wird im Laufe des Romans herausgearbeitet, denn was wäre eine Familie ohne sie? 

Mit diesem ruhigen Roman, in dem Gegenwart und Vergangenheit so eng miteinander verwoben sind, dass die Grenzen beinahe verschwimmen, hat der Autor seinen Großeltern ein Denkmal gesetzt. Für mich hätten die Erlebnisse in der Gegenwart und Sylt als Handlungsort mehr Platz einnehmen dürfen. Ingesamt ist "Sylter Welle" für mich ein lesenswerter Roman über die Beziehung zwischen Großeltern und Enkelkindern und deren Entwicklung im Laufe der Jahre.

Freitag, 27. Oktober 2023

Rezension: Be Your Own F*cking Hero von Tijen Onaran

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Be Your Own F*cking Hero
Autorin: Tijen Onaran
Erscheinungsdatum: 11.10.2023
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur
ISBN: 9783442317271
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Das Buch „Be your own f*ucking Hero” der Unternehmerin und Investorin Tijen Onaran ist ein durchgängiges Plädoyer dafür, in der Öffentlichkeit den Mut aufzubringen, mehr Selbstbewusstsein zu zeigen. Beim Schreiben wurde sie von der Journalistin Dagmar Zimmermann unterstützt. Die Aufforderung von Tijen Onaran richtet sich vor allem an Frauen, aber nicht nur. In fünfzehn Kapiteln schreibt sie zu verschiedenen Themen wie beispielsweise Herkunft, Kleidung, finanzielle Unabhängigkeit und die Wahl der richtigen Wegbegleiter(innen). Der Schreibstil ist frisch, unterhaltsam und aktivierend.

Tijen Onaran greift immer wieder auf ihre eigenen Erfahrungen zurück, um dem Lesenden zu verdeutlichen, wie es gelingen kann, sich selbst zu verwirklichen, ohne sich für andere anpassen zu müssen. Damit meint sie sowohl das Stylen des eigenen Erscheinungsbilds als auch das Äußern seiner Meinung.

Über die Kapitel hinweg konnte ich über den beeindruckenden Karriereweg der Autorin lesen, aus dem sie gerne Beispiele anführt, um ihre Statements zu unterstreichen. Sie wuchs als Kind türkischer Eltern in Karlsruhe auf und begann nach dem Abitur ein Studium in Heidelberg. Als Zwanzigjährige kandidierte sie für ein Mandat bei der Landtagswahl, leitete später ein Wahlkreisbüro und arbeitete weiter in verschiedenen Jobs im politischen und unternehmerischen Umfeld, bis sie sich 2018 mit Global Digital Women Community selbständig machte.

Diversität, Netzwerken und die Verbesserung der Sichtbarkeit von Frauen in der Wirtschaft liegen Tijen Onaran besonders am Herzen, was man auch im vorliegenden Buch spürt. Bereits der Titel und die auffallend rote Einbandgestaltung sind im Vergleich zu vielen anderen Büchern auffallend, was das Anliegen der Autorin zusätzlich verdeutlicht. Sie setzt sich dafür ein, dass man sich traut, schwer erreichbar scheinende Ziele anzustreben, auch wenn man dabei Rückschläge einstecken muss. Ihrer Meinung nach kann man sich Wissen aneignen, mit Niederlagen sollte man umzugehen lernen. Auch dazu gibt sie ihre Erfahrungen weiter und verweist darauf, dass es wichtig ist, Kontakte aufzubauen und zu pflegen.

Tijen Onaran plädiert in ihrem Buch „Be Your Own F*cking Hero” dafür, dass man sich gegenüber anderen so geben soll, wie man sein will. Dabei richtet sie sich insbesondere an Frauen. Mit Beispielen aus ihrer eigenen Karriere wird sie zur Mutmacherin für viele Lebenslagen, in denen Frau/Mann für sich einstehen soll. Daher empfehle ich das Buch zum Ansporn des Selbstvertrauens gerne weiter.

Mittwoch, 25. Oktober 2023

Rezension: Der überschätzte Mensch von Lisz Hirn

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Der überschätzte Mensch
Autorin: Lisz Hirn
Erscheinungsdatum: 25.09.2023
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN:9783552073432
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In ihrem Buch „Der überschätzte Mensch“ widmet sich Lisz Hirn der Frage, wo sich der Mensch in unserer heutigen Kultur verortet sieht. Der Mensch hat sich zunehmend durch seine Vernunftbegabung in eine Abhängigkeit von den von ihm geschaffenen technologischen Gerätschaften und künstlichen Intelligenz begeben. Die Autorin schaut auf den ihn in seiner komplexen und konkreten Wirklichkeit, die ihn in den vergangenen Jahren durch Klimakrise und Pandemie verletzlicher gemacht hat.

Im Sinne unseres Überlebenswillens verzichten wir zunehmend auf tierische Produkte. Ansatzpunkt für die Autorin ist daher im ersten Kapitel das Essen. Doch inzwischen wirft sich die Frage auf, ob ein genussvolles Leben noch erstrebenswert ist, wenn sich dessen Akzeptanz verringert. Im Kapitel „Sterben“ fragt die Autorin danach, wem wir heute noch Rechenschaft abzulegen haben über unser Handeln. In dieser Frage ist auch die beinhaltet, wer über den Endpunkt unseres Lebens bestimmen sollte. Aufgrund der Digitalisierung stehen viele Daten von uns öffentlich zur Verfügung, auch nach unserem Tod. Des Weiteren schaut Lisz Hirn im Kapitel „Werden“ auf unser Verhältnis zur Technik und hinterfragt die der Technologie von uns zugewiesene Neutralität. Im letzten Kapitel „Handeln“ geht sie auf den Wert unserer Stimm- und Sprechbildung gegenüber anderen Lebewesen und der Software ein.

Das vorgenannte ist nur eine beispielhafte Aufführung des Inhalts der vier beinhalteten Kapitel im Buch. Die Autorin reiht weit mehr Gedanken verschiedener Philosophen auf und setzt sie zueinander in Verbindung. Zwischenzeitlich schaut sie auf Aspekte der angenommenen Ursachen unserer Vulnerabilität und kommt dadurch wieder zu ihrer ursprünglichen aufgeworfenen Frage zurück.

Lisz Hirn zeigt in ihrem Buch „Der überschätzte Mensch“ einen Menschen, dessen ursprüngliches Konzept, sich im Rang über andere Lebewesen zu erheben, durch die von ihm geschaffene Technologie erschüttert und seine Verletzlichkeit sichtbarer wird. Für mich als Laien in Sachen Philosophie war es nicht immer einfach, den Ausführungen von Lisz Hirn zu folgen. Jedoch konnte ich mir mit dem arbeitspsychologischen Wissen aus meinem Studium viele der Ansichten erschließen.


Dienstag, 24. Oktober 2023

Rezension: Das Vogelmädchen von London von Mat Osman

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Das Vogelmädchen von London
Autor: Mat Osman
Übersetzerin aus dem Englischen: Ulrike Seeberger
Erscheinungsdatum: 10.10.2023
Verlag: Rütten & Loening (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783352009938
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Die Vögel verehrenden Aviscultarier werden auch Flapper genannt, was gleichbedeutend mit Wahrsager ist. Die Zukunft lesen sie aus deren Zug bei der regelmäßig stattfindenden Murmuration, aber auch aus Karten. Shay, die titelgebende Figur des Romans „Das Vogelmädchen von London“ von Mat Osman, ist eine von ihnen. Mit ihren gerade mal 16 Jahren obliegt ihr nach dem Tod der Mutter die Aufgabe, ein Vorbild für den Nachwuchs zu sein. Außerdem sorgt sie für ihren inzwischen blinden Vater, der sie gelehrt hat, Falken auszubilden. Sie leben in einem eigenen Viertel außerhalb Londons, aber Shay verrichtet in der Stadt Botengänge. Als sie eines Tages über die Dächer Londons vor jemandem flieht, begegnet sie dem etwa gleichaltrigen Nonesuch, der ihr beisteht.

Nonesuch ist ein weiterer Protagonist und gehört zu einer Gruppe von Jungen, die dazu genötigt werden, für das Blackfriars-Theater zu spielen. Ihre Zuschauer sind gutsituierte Bürger Londons, aber bei speziellen Gelegenheiten haben sie besondere Rollen in Spielen einzunehmen, die Adlige veranstalten. Shay hilft bei ihnen als Souffleuse aus und ist tief beeindruckt von den Leistungen der Darbietenden und dem Umfeld. Als ihr für ihre Tätigkeiten ein finanzieller Anreiz geboten wird, bleibt sie und bald wird aus der Freundschaft zu Nonesuch eine tiefe Zuneigung. Shays Fähigkeiten verbreiten sich in der Stadt, bis hin zur Königin, die sie nicht mehr unbeobachtet lässt.

Die Geschichte spielt zu Beginn des 17. Jahrhunderts. In den Armutsvierteln Londons halten sich die auf engem Raum lebenden Menschen gerade so mit Gelegenheitsjobs am Leben und Krankheiten verbreiten sich in Windeseile. In den Hinterzimmern wird auf dubiose Wettkämpfe von Tieren gewettet und die Darbietung von Kleinkunst bietet angenehmen Abwechslung vom Alltag. Dem Autor gelingt es, ein opulentes Bild der damaligen Hauptstadt Londons zu schaffen. Die Jugendlichen sind ganz dem Diktat der wohlhabenden Bevölkerung ausgesetzt. Lange gelingt es Shay, sich einen gewissen Freiraum zu erhalten, bis auch sie zum Spielball im Kampf ums Überleben und um gesellschaftliches Ansehen wird.

Die adoleszenten Figuren haben inmitten einer Welt, die ihnen nur wenig Freude bietet, den Wunsch nach Selbstbestimmung. Während aber Shay dazu ihre Fähigkeiten einsetzt und ehrlich ihre Hilfe anbietet, bleibt Nonesuch wenig durchschaubar. Sein Schauspiel zeigt Bestleistungen, aber sein Wille, Unabhängigkeit zu erlangen, lässt ihn tief in die Trickkiste greifen, auch wenn er dabei förmlich über Leichen gehen muss.

Die Geschichte beinhaltet fantastische Elemente, mit denen der Autor die Vielfalt seines Schreibens zeigt. Dennoch kommt es im mittleren Teil zu einer gewissen Länge durch die detaillierte Beschreibung von Nebenhandlungen. Die Atmosphäre ist meist düster gehalten und Mat Osman scheut sich nicht, seine jugendlichen Figuren schweren Prüfungen auszusetzen. Er zeigt die Täuschungsmöglichkeiten durch das Schauspiel und setzt dem die Faszination der Natur durch die Unbedarftheit der Tiere entgegen.

Mat Osman erschafft in seinem Roman „Das Vogelmädchen von London“ eine vorstellbare bildhafte Version der englischen Hauptstadt zum Ende der Regierungszeit Elisabeths I., über die er einen Hauch von Magie zieht. Gaukeleien und Intrigen, Liebe und Hass, Pflicht und Freiheitsliebe bilden das Gerüst der Geschichte, die mit einer überraschenden Wendung zum Ende hin aufwartet. Gerne empfehle ich das Buch an Lesende weiter, die historische Romane mit Elementen der Fantasy mögen.

Montag, 23. Oktober 2023

Rezension: Das kleine Bücherdorf - Herbstleuchten von Katharina Herzog


Das kleine Bücherdorf - Herbstleuchten
Autorin: Katharina Herzog
Broschiert: 368 Seiten
Erschienen am 17. Oktober 2023
Verlag: Rowohlt Taschenbuch

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Betty Andrews lebt mit ihrer Großmutter Helena zusammen in Boston und ist eine echte Berühmtheit: Schon als Teenagerin war sie als Schauspielerin für einen Oscar nominiert. Seit einigen Jahren ist sie außerdem mit einer Kinderbuchreihe regelmäßig in den Bestsellerlisten vertreten. Statt am neuesten Band der Reihe zu arbeiten, verfolgt sie aktuell jedoch ein anderes Projekt: Gemeinsam mit den Nachbarsjungen Jamie, der im Rollstuhl sitzt, arbeitet sie an der Geschichte von Pete Pinguin. Dieser kann zwar nicht fliegen, entdeckt aber, dass er zahlreiche andere Talente hat. Betty möchte die Geschichte unter Pseudonym veröffentlichen, um herauszufinden, ob ihre Arbeit auch ohne ihren berühmten Namen gewürdigt wird. Was ihr noch fehlt ist allerdings ein passender Illustrator.

Als Betty in einem Schrank ihrer Großmutter ein Cello entdeckt, in dessen Koffer auch wunderschöne Zeichnungen von einem E. Smith liegen, weiß sie: Seine Arbeit ist genau das, was sie für Pete Pinguin gesucht hat! Doch Helena möchte nicht über das Cello und auch nicht über E. Smith reden. Da kommt Betty eine Einladung als Stargästin beim Festival des Bücherdorfs Swinton-on-Sea gerade recht, denn die Agentur des mysteriösen Illustrators hat ihren Sitz in der Nähe. Ein paar Tage vor Festivalbeginn reist die Undercover an, um Nachforschungen zu betreiben.

Die erneute Rückkehr ins Bücherdorf hat mir sehr gefallen. Mit Betty gibt es erneut eine Außenstehende, die das Dorf zum ersten Mal entdeckt und dessen Bewohner kennenlernt, die mir inzwischen richtig ans Herz gewachsen sind. Diese sind schwer beschäftigt mit den Vorbereitungen auf das Festival, an denen sich auch Betty undercover beteiligt. Ich fand es schön zu sehen, wie sich die Charaktere seit den Ereignissen des letzten Bandes weiterentwickelt haben. Beinahe alle bekannten Dorfbewohner haben erneut einen Auftritt, was Fans der Reihre freuen wird, allerdings auch dazu führt, dass für die romantische Annäherung zwischen Betty und dem Buchhändler Eliyah nicht so viel Zeit blieb, wie ich mir gewünscht hätte. 

Von Beginn an ist klar, dass Betty von einem Erlebnis geprägt wurde, an das sie nicht gerne zurückdenkt. Sie hat Angst vor Menschenmassen, weshalb ihr Auftritt auf dem Festival der erste seit längerer Zeit ist. Auch ihre Großmutter hat vor über 50 Jahren etwas erlebt, worüber sie nicht sprechen möchte. Dank einiger Hinweise konnte ich mir in beiden Fällen bald erahnen, worum es geht, dennoch fand ich es interessant, die beiden auf ihrem Weg in Richtung Vergangenheitsbewältigung zu begleiten. 

Die herzliche Atmosphäre des Bücherdorfs legt sich dabei wie eine warme Wolldecke um die ernsteren Themen und hilft außerdem Betty, zu erkunden, wie sie als normale Person ohne Promifaktor wahrgenommen wird. Für mich ist der Roman eine echte Wohlfühllektüre, mit der man es sich gemütlich machen kann, während es draußen allmählich kälter wird.

Samstag, 21. Oktober 2023

Rezension: Ich hätte da ein paar Fragen an Sie von Rebecca Makkai


Ich hätte da ein paar Fragen an Sie
Autorin: Rebecca Makkai
Übersetzerin: Bettina Abarbanell
Hardcover: 560 Seiten
Erschienen am 28. September 2023
Verlag: Eisele

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Bodie Kane kehrt nach über 20 Jahren an das Internat in New Hampshire zurück, in dem sie einst selbst Schülerin war. Sie soll dort zwei Wochen lang Kurse geben, unter anderen einen, in dem alle Teilnehmer:innen einen eigenen Podcast aufnehmen. Auf Bodies Liste an Themenvorschlägen landet auch der Mord an Thalia Keith auf dem Internatsgelände in den 90ern, den eine Schülerin für ihren Podcast auswählt. Das Prekäre daran: Thalia war Bodies Mitschülerin, für einige Zeit waren sie sogar Mitbewohnerinnen. Seit über 20 Jahren sitzt jemand als Möder im Gefängnis. Doch Bodie hat wie viele andere Zweifel daran, ob die richtige Person verurteilt wurde. Kann im Rahmen dieses Schulprojekts gelingen, woran alle anderen bislang gescheitert sind - neue Informationen zu finden, damit der Fall neu aufgerollt wird?

Das Buch beginnt im Jahr 2018 mit Bodies Rückkehr nach Granby, dem Internat, in dem sie selbst ihren Schulabschluss gemacht hat. Eine Freundin und ehemalige Mitschülerin, die dort als Lehrerin arbeitet, hat sie eingeladen, zwei Wochen lang zu ihr zu kommen und Kurse zu geben. Nach ihrer Ankunft dauert es nicht lange, bis das Gespräch auf Thalia kommt. Der Mord an ihr beschäftigt Bodie noch immer. In Internetforen wurden die Beweisstücke immer wieder analysiert und hinterfragt. Auch sie selbst hegt Zweifel, ob die Ermittlungen damals gründlich genug waren und nicht der Falsche hinter Gittern gelandet ist.

Die Ich-Erzählerin Bodie spricht bei ihrer Widergabe der Ereignisse immer wieder eine Person direkt an, die sie Siezt und die sich bald als ihr ehemaliger Musiklehrer Dennis Bloch herausstellt, der nach dem Mord für einige Zeit nach Bulgarien gegangen ist. Sie hat das Gefühl, dass er der Mörder sein könnte. Ich musste mich beim Lesen erst daran gewöhnen, dass nicht ich mit dieser direkten Ansprache gemeint bin. In Gedanken spielt Bodie immer wieder mögliche Mordverläufe mit unterschiedlichen Tätern durch, doch es fehlen handfeste Beweise. Als Leserin überlegte ich ebenfalls, wie plausibel diese unterschiedlichen Theorien sind.

Als eine Schülerin den Mord als Podcast-Thema auswählt, weiß Bodie zunächst nicht, ob sie sich freuen soll oder ob es ein Fehler war, das Thema auf die Auswahlliste zu setzen. Bald steckt sie mit ihrem Kurs mitten drin in Nachforschungen, was damals passiert ist und was möglicherweise übersehen wurde. Doch nicht jeder ist erfreut darüber, dass dieser alte Fall wieder einmal Aufmerksamkeit erhält.

Besonders interessant und relevant fand ich das Schlaglicht, das der Roman auf den strukturellen Rassismus wirft: Bei dem für den Mord an Thalia verurteilten Mann handelt es sich um den einzigen Schwarzen, der damals als Verdächtiger in Frage kam. Außerdem erhielt ich ausführliche Einblicke in das amerikanische Rechtssystem und was es braucht, um einen Fall vor Gericht neu aufzurollen und ein Urteil zu hinterfragen. Für meinen Geschmack zogen sich die Nachforschungen allerdings zu sehr in die Länge. Auch Handlungsstränge wie eine Meetoo-Debatte rund um Bodies Ex-Mann und ihre Reaktion darauf, die mit dem Fall direkt nichts zu tun haben, nehmen viel Raum ein. Der Roman spricht viele gesellschaftlich aktuelle Themen an, ich hätte mir aber eine straffere Erzählweise gewünscht. 

Mittwoch, 18. Oktober 2023

Rezension: Stille Nacht im Schnee von Alexander Oetker

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Stille Nacht im Schnee
Autor: Alexander Oetker
Erscheinungsdatum: 05.10.2023
rezensierte Buchausgabe: Hardcover
ISBN: 9783455016468
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Zunächst erscheint es wie ein Heiliger Abend, den einige der Lesenden des Romans „Stille Nacht im Schnee“ von Alexander Oetker vielleicht selbst so oder ähnlich bereits erlebt haben. Das Setting liegt in den Schweizer Bergen, die tief verschneit sind und die erwachsenen Kinder besuchen mit ihren Partner(inne)n ihre Eltern im Ferienhaus, um gemeinsam die Weihnachtstage zu verbringen. Das Cover sorgt für ein behagliches Gefühl beim Betrachten, noch bevor man das Buch aufschlägt.

Pascal und Elisabeth sind seit vielen Jahren verheiratet und genießen, wie in den Vorjahren, ihren Urlaub im Wallis. Die beiden fragen sich, welches ihrer drei Kinder als erstes eintriffen wird und wundern sich nicht, dass es der ältere Sohn samt nörgeliger Frau, rüpelhaftem fünfjährigem Sohn und Haustier ist. Doch am Rande des ganz normalen Chaos, bemerkte ich die Zuneigung von Pascal und Elisabeth, in die sich jedoch ein Störelement einmischte, eine Andeutung darauf, dass die kommenden Stunden gewiss einen anderen Verlauf nehmen, als in der Familie sonst üblich ist. Bis sich am Ende meine Vermutung bestätigte, beschreibt der Autor einen Vorweihnachtstag mit amüsanten Szenen. Gleichzeitig lässt er auch Themen einfließen, die unsere Welt bewegen und sowohl Figuren wie aus den Lesenden nachdenklich stimmen, beispielsweise den Klimawandel und gesunde Ernährung.

Die Figuren, die Alexander Oetker gestaltet sind vielfältig und interessant in ihrer Zusammenstellung. Pascal und Elisabeth sorgen für einen respekt- und verständnisvollen Umgang miteinander. Obwohl die Geschichte nur über wenige Stunden handelt, durchlebt die Familie einige turbulente Höhen und Tiefen miteinander.

Bis es zum Schluss hin nochmals zu einer unerwarteten Wendung in Form der Aufklärung der bis dahin im Hintergrund knisternder Anspannung der Eltern kommt, erlebte ich Liebe, Verärgerung, Aufregung und Freude zwischen den handelnden Personen, die den Roman „Stille Nacht im Schnee“ von Alexander Oetker unvergleichbar machten. Leider war die Handlung, die mich bestens unterhalten hat, nach etwa 150 Seiten allzu schnell vorbei. Das Buch passt von der Stimmung her vor allem zum Lesen in der Adventszeit. Gerne empfehle ich es weiter.


Samstag, 14. Oktober 2023

Rezension: Kalmann und der schlafende Berg von Joachim B. Schmidt

 


Titel: Kalmann und der schlafende Berg
Autor: Joachim B. Schmidt
Erscheinungsdatum: 23.08.2023
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783257072662

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Kalmann ist wütend. Als Leserin des nach ihm betitelten Romans von Joachim B. Schmidt ahnte ich, dass das nicht gut ist, weil dieser besondere Protagonist dann zu unberechenbaren Handlungen neigt. Zu Beginn der Fortsetzung „Kalmann und der schlafende Berg“ sinniert die Titelfigur als Ich-Erzähler über die vergangenen Ereignisse, die ihn zornig gestimmt haben. Dabei erhielt ich einige Hinweise darauf, was seit den Begebenheiten im ersten Teil geschehen ist, den man für das Verständnis nicht gelesen haben muss, aber sonst ein Lesevergnügen verpasst hat. Ich erfuhr, dass Kalmanns Großvater gestorben ist und sein US-amerikanischer Vater Kontakt zu ihm aufgenommen hat. Außerdem las ich davon, dass er in Folge dieser beiden Fakten der Einladung nach Amerika gefolgt ist und dort vom FBI verhaftet wurde.

Als die FBI-Agentin beim Verhör Kalmann nach dem Grund seiner Reise befragt, wandern die Gedanken des Protagonisten zurück in die Vergangenheit auf der Suche nach einem Ausgangspunkt für seine Erklärung. Dabei gelangt er zu einem Punkt vor dem Tod seines Großvaters, als dieser bereits im Heim lebte. Schrittweise erfuhr ich mehr darüber, wie er in die ungewöhnliche Lage geraten ist, in der er sich nun befindet und wie er sich später in eine noch bedrohlichere Situation bringen wird, von der er am Beginn des Romans noch nichts ahnt.

Kalmann ist zu seiner Mutter in eine Kleinstadt gezogen, obwohl er sich zu seinem früheren Wohnort Raufarhöfn hingezogen fühlt. Joachim B. Schmidt konfrontiert den vor Ort heimlich zum Helden gewordenen Protagonisten mit den Problemen unserer Zeit. Die Handlung spielt vom Herbst 2020 bis zum Frühjahr des nächsten Jahrs während der Pandemie, deren Auswirkungen auch in Island spürbar sind. Während seines Aufenthalts in den USA gerät Kalmann in eine politisch bedeutsame Situation. Der Autor sprüht im vorliegenden Band vor Einfällen, die manchmal übertrieben sind, aber amüsant und vor allem unterhaltend.

Auf dem titelgebenden Berg kommt es am Ende des Buchs zu einem Showdown. Bis dahin erlebte ich Kalmann zwischen Hoffen und Bangen. Sein bester Freund Noi pflanzt ihm einen unglaublichen Gedanken in Bezug auf den Tod seines Großvaters ein. Bei den Mitarbeitern im Heim und auch in Raufarhöfn ist er beliebt und bekannt, so dass es ihm kaum Mühe bereitet, Hilfe auf die aufgeworfenen Fragen zu finden. Wie auch im ersten Band führt die Arglosigkeit des Protagonisten dazu, den Lesenden in manchen Dingen nachdenklich zu stimmen.

Joachim B. Schmidt hat mit dem Buch „Kalmann und der schlafende Berg“ erneut eine turbulente Romanhandlung mit kriminalistischen Elementen geschrieben ganz im Stil des ersten Bands der Reihe „Kalmann“.  Aufgrund der sehr guten Konstruktion hält die Geschichte eine gewisse Hintergrundspannung, welche sich zum Schluss hin nochmal deutlich steigert. Der Protagonist ist, abgesehen von seinen Wutanfällen, ein liebenswerter Charakter, der mit seiner besonderen Art und Weise zu handeln, den Lesenden für sich einnimmt. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.


Dienstag, 10. Oktober 2023

Rezension: Die Waffen des Lichts von Ken Follett (Kingsbridge-Reihe Band 5)

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Die Waffen des Lichts
Autor: Ken Follett
Übersetzer aus dem Englischen: Dietmar Schmidt und Rainer Schumacher
Erscheinungsdatum: 26.09.2023
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783767700065
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Mit seinem Roman „Die Waffen des Lichts“ kehrt Ken Follett nach Kingsbridge zurück, dem von ihm für sein Bestsellerbuch „Die Säulen der Erde“ erdachten Ort im Süden Englands. Es ist bereits der fünfte Band der Reihe, der aber unabhängig von den anderen gelesen werden kann. Bei einigen Gelegenheiten nimmt der Autor Bezug auf vergangene Ereignisse in Kingsbridge, an die man sich als Lesender mit Vorwissen gerne erinnert.

Die Handlung von „Die Waffen des Lichts“ spielt im Zeitraum 1792 bis 1824. In diesem Zeitraum schaut in England der Adel mit Besorgnis auf die Revolution in Frankreich und ihre Folgen und fragt sich, ob ein solcher Umschwung auch bei ihnen möglich wäre. Daher versucht die Aristokratie mit entsprechenden Gesetzen ein Aufbegehren der niedrigeren Stände zu verhindern. Währenddessen beginnen Maschinen die Handwerker nicht nur zu unterstützen, sondern sie auch zu ersetzen. In Kingsbridge ist davon auch der Berufsstand der Spinner und Weber betroffen.

Nachdem ihr Mann durch einen Unglücksfall zu Tode gekommen ist und sie gegen die Obrigkeit aufbegehrt hat, verschlägt es die Spinnerin Sal vom Land nach Kingsbridge. Bereits ihr sechsjähriger Sohn Kit hilft ihr dabei, eine innovative Spinnmaschine zu bedienen, damit sie von dem Verdienst leben können. Der junge Tuchhändler Amos übernimmt nach dem plötzlichen Tod seines Vaters dessen marodes Geschäft und bemüht sich darum seine Arbeiter(innen) fair zu behandeln und dennoch das Unternehmen zu sanieren. Elsie, die Tochter des anglikanischen Bischofs von Kingsbridge, buhlt um die Liebe von Amos, der sich der erstarkenden methodistischen Religion zugewendet hat. Außerdem liegt ihr die Gründung einer Sonntagsschule am Herzen, um auch den ärmsten Kindern ein Mindestmaß an Bildung zukommen zu lassen.

Wie man es von Ken Follett gewohnt ist, setzt er seinen Figuren, die rechtschaffene Ziele haben, einige Widersacher entgegen. Meistens handelt es sich dabei um Personen mit Rang und Namen, die ihre Macht gegenüber ihren Untergebenen geltend machen. Allerdings kann sich England schließlich nicht den Umwälzungen auf dem europäischen Kontinent entziehen und greift in das Kriegsgeschehen ein, von dem im Laufe der Zeit sämtliche Protagonist(inn)en betroffen sind.

Der Autor erzählt das Geschehen in chronologischer Reihenfolge. Die Handlungsstränge um verschiedene Figurengruppen laufen parallel, kreuzen sich aber gelegentlich und spielen ineinander über. Mit dem Unfall zu Beginn des Buchs verdeutlicht er die herrschenden Klassenunterschiede in der Gesellschaft und Sal konnte meine Sympathie gewinnen. Danach hoffte und bangte ich über Höhen und Rückschläge hinweg, dass sie für sich und ihren Sohn das angestrebte Ziel erreichen wird, in der sie nicht mehr täglich um das Stillen ihres Hungers kämpfen muss.

Immer wieder führte Ken Follett mir beispielhaft vor Augen wie vor zweihundert Jahren die untere Gesellschaftsschicht durch eine entsprechende Gesetzgebung niedrig gehalten wurde. Seine Ausführungen enden teilweise mit drakonischen Strafen, die leider der harten Realität entsprechen. Dagegen wehren sich seine Hauptfiguren im Rahmen ihrer Möglichkeiten, was sie aus der Menge ihrer Mitbürger(innen) herausstechen lässt. Über die Jahre hinweg lernen die Protagonist(inn)en aus ihren Erfahrungen und passen sich an neue Gegebenheiten an.

Wieder einmal zeigt Ken Follett in seinem Roman „Die Waffen des Lichts“, dass er ein brillanter Unterhalter ist, dem es gelingt, politisch weltbewegende Ereignisse auf kleinem Raum in der fiktiven Stadt Kingsbridge widerzuspiegeln. Durch das Kreieren interessanter Figuren und abwechslungsreich gestalteter Handlungen lässt er Geschichte lebendig werden. Sehr gerne empfehle ich das Buch an Lesende historischer Romane weiter. 

Samstag, 7. Oktober 2023

Rezension: Selbstgemachte Geschenke zum Aufessen von Veronique Witzigmann, illustriert von Kat Menschik


Selbstgemachte Geschenke zum Aufessen
Autorin: Veronique Witzigmann
illustriert von Kat Menschik
Hardcover: 112 Seiten
Erschienen am 5. Oktober 2022
Verlag: Galiani Berlin

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"Selbstgemachte Geschenke zum Aufessen" ist der inzwischen 16. Band der illustrierten Lieblingsbücher-Reihe von Kat Menschik. Hierfür hat sie sich mit Veronique Witzigmann zusammen getan, die bereits mehrere Kochbücher veröffentlicht hat. Auf knapp über 100 Seiten finden sich hier Rezepte für sowohl herzhafte als auch süße Speisen, die sich zum Verschenken eignen. Dabei handelt es sich sowohl um Mitbringsel, die länger haltbar sind als auch um solche, die sofort verzehrt werden sollten.

Das Buch ist mit seinem lilanen Buchcover und dem ebenso lilanen Buchschnitt und Lesebändchen wieder ein echter Hingucker und ein neuer Farbtupfer in der bunten Reihe. Die Illustrationen von Kat Menschik machen große Lust, die Rezepte auszuprobieren. Diesmal befinden sich im Buch sowohl ganzseitige gemalte Bilder als auch Zeichnungen, mit denen der Platz unter den Rezept-Texten gefültl wird. Wie Kat Menschik selbst im Nachwort schreibt hat sie hier bewusst unterschiedliche Techniken nebeneinander gesetzt. Das Ergebnis ist überaus gelugnen.

Nach "Essen essen" ist dies bereits das zweite Kochbuch der Lieblingsbücher-Reihe. Während bei ersterem auch die Hinweise zur Zubereitung gezeichnet sind und dadurch das ganze Rezept ein optisches Erlebnis ist, sind sie diesmal als Text abgedruckt. Da die Instruktionen hier noch einmal deutlich länger sind, war das in meinen Augen eine sinnvolle Entscheidung. Auch das allgemeine Schwierigkeitsniveau der Rezepte ist hier höher. Während "Essen essen" mehr für den Alltag gedacht ist, handelt es sich hier um Speisen, die wirklich etwas Besonderes sind. Eine gelungene Ergänzung der Reihe!

Rezension: Psyche und Eros von Luna McNamara


Psyche und Eros
Autorin: Luna McNamara
Hardcover: 444 Seiten
Erschienen am 19. September 2023
Verlag: Rütten & Loening

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Eros ist einer der ältesten Götter und seit jeher für das Verlangen zuständig. Mit seinen Pfeilen trifft er Götter und Menschen, während er selbst allein bleibt. Eines Tages erhält er von seiner selbst ernannten Mutter Aphrodite den Auftrag, die junge Psyche mit einem verfluchten Pfeil zu treffen. Doch beim Anlegen verletzt sich Eros selbst mit der Pfeilspitze und wird Opfer des Fluchs: Er verliebt sich in die erste Person, die er erblickt - Psyche - doch wenn sie einander in die Augen sehen würden, dann würden sie für immer getrennt sein. 

Währenddessen wehrt sich Psyche, Prinzessin von Mykene und einziges Kind des Königspaares, gegen eine Heirat. Das Orakel von Delphi hat ihr einst vorhergesagt, ein Ungeheuer zu töten, und ihre Lehrerin Atalante hat sie darauf vorbereitet, zu kämpfen und eine Heldin zu werden. Wie soll sie sich da mit der Rolle als Ehefrau zufrieden geben? Dass sie plötzlich durch einen Gott entführt wird hat jedoch niemand kommen sehen.

Ich habe vor einigen Monaten die Romane von Madeline Miller mit großer Begeisterung gelesen und war daher gespannt darauf, wie Luna McNamara die Neuerzählung einer weiteren Geschichte aus der griechischen Mythologie gelingen wird. Die ersten Kapitel sind abwechselnd aus der Ich-Perspektive von Psyche und Eros geschrieben. Sie schildern Psyches Heranwachsen und Eros Leben als Gott über die Jahrhundere und Jahrtausende hinweg. Ich erlebte die Schilderungen als kurzweilig und war gespannt auf die erste Begegnung der beiden.

Nach rund 100 Seiten ist es so weit und Aphrodites Fluch entfaltet seine Wirkung. Ich fieberte mit, ob Psyche und Eros einen Weg zueinander finden werden und den Fluch besiegen können. Dabei müssen sie sich so mancher Herausforderung stellen und durchleben Höhen und Tiefen. Auf ihrem Weg begegnen ihnen zahlreiche weitere Figuren aus der griechischen Mythologie wie Zeus, Persephone, Adonis, Medusa, Iphigenie, Helena und Achill. Dabei hat sich die Autorin grob an den ursprünglichen Texten orientiert, aber auch einige Dinge verändert oder neu interpretiert. 

Für mich ist "Psyche und Eros" eine mitreißende Liebesgeschichte, mit der ich spannende Stunden im antiken Griechenland verbracht habe. Wer keinen Text erwartet, der möglichst nah am Original ist, sondern einen Unterhaltungsroman mit mythologischem Flair, der ist hier genau richtig. Ich bin von diesem Romandebüt begeistert und freue mich auf weitere Romane der Autorin.

Mittwoch, 4. Oktober 2023

Rezension: Ich hätte da ein paar Fragen an Sie von Rebekka Makkai

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Ich hätte da ein paar Fragen an Sie
Autorin: Rebecca Makkai
Übersetzerin aus dem amerikanischen Englisch: Bettina Abarbanell
Erscheinungsdatum:28.09.2023
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783961611737

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Bodie Kane, die Protagonistin im Roman „Ich hätte da ein paar Fragen an Sie“ von Rebecca Makkai, hatte eine Mitschülerin, die vor über zwanzig Jahren an der gemeinsam besuchten Schule ermordet wurde. Inzwischen betreibt die Medienwissenschaftlerin gemeinsam mit einem Co-Moderator einen Podcast über die Geschichte von Frauen im Film. Recherchetätigkeiten sind ihr deshalb vertraut und sie ist sich sicher, dass bei der Aufklärung des damaligen Mordfalls nicht alle Details geklärt wurden. Sie hinterfragt auch ihre eigene Rolle bei den Befragungen im Umfeld des Opfers nach der Tat, denn eventuell hat sie durch ihre Aussage die Ermittlungen in eine falsche Richtung getrieben.

Ein Video über den Mordfall, das Bodie vor wenigen Jahren zugeschickt wurde, weckt längst vergessen geglaubte Erinnerungen in ihr und ihre Zweifel daran, dass damals der richtige Täter verurteilt wurde, werden hochgespült. Sie nimmt ein Angebot an, über zwei Wochen hinweg als Dozentin einen Kurs über das Podcasten am Grandy College abzuhalten, dem Internat in New Hampshire, das sie vier Jahre lang besucht hat. Sie beabsichtigt zwar nicht, die Ermordung anzusprechen, aber sie schleicht sich in ihre Themenvorschläge hinein. Als sie sieht, wie eifrig ihre Schüler(innen) sich dem Thema widmen, erhofft sie sich, dass deren Betrachtung des Falls vielleicht Einzelheiten zu Tage bringen, die damals nicht beachtet wurden.

Das Geschehen, sowohl in der Gegenwart wie auch die Begebenheiten in der Vergangenheit, schildert Bodie als Ich-Erzählerin. Sie wendet sich mit ihren Schilderungen an einen ehemaligen Lehrer, den sie zwischenzeitlich auch direkt anspricht. Mit seinem Verhalten hat er damals ihr Misstrauen in Bezug auf gewisse Details im Rahmen des Mordfalls geweckt. Hin und wieder finden sich in der Geschichte Einschübe mit Bodies Rekonstruktionen, wie es zum Mord gekommen sein könnte mit jeweils einer anderen Person, die sie in den Mittelpunkt stellt.

Die Schilderungen ihrer gegenwärtigen Tätigkeit am College werden immer wieder von einer Gedankenflut unterbrochen, in der Brodie in die Vergangenheit reist. Stück für Stück entblätterte sie vor mir als Leserin ihre Jugendzeit. Zwischen den Erinnerungen an das Geschehen rund um den Tod ihrer Klassenkameradin drängen sich Gefühle zu verschiedenen Mitschülern(innen) und Lehrer(innen) an die Oberfläche. Sie sieht sich als Schülerin, die sich nicht leicht in die Klassengemeinschaft einfügen wollte, was auch an den Schikanen von Klassenkamerad(inn)en lag.

Bei dem erneuten Aufrollen des Kriminalfalls verfolgte ich interessiert die Schilderungen zum US-amerikanischen Justizsystems und den darin schlummernden Ungerechtigkeiten. Brodie Kane erlebte am College rassistisches Verhalten ihrer Mitschüler(innen), deren Unehrlichkeit, um sich selbst ins beste Licht zu setzen und unterschiedliche Behandlung aufgrund gesellschaftlicher Zugehörigkeit. Es kam zu verbalen und sogar körperlichen Übergriffen, die sie heute nicht mehr tolerieren würde.

Rebecca Makkai thematisiert auf unterschiedliche Weise Begebenheiten zu sexueller Belästigung, die ihre Protagonistin auch im gegenwärtigen Leben berühren und nachdenklich darüber stimmen, ab wann man diese als solche bezeichnen sollte. Sie zeigt Folgen für die Betroffenen auf und die heutigen Möglichkeiten, in den Sozialen Medien darauf aufmerksam zu machen. Bodie weiß aus Erfahrung, dass die Flut von Ereignissen, die die Hörenden und Lesenden konsumieren in der Menge irgendwann in ihren Einzelheiten verschwimmen.

Mit der Protagonistin erschafft Rebecca Makkai in ihrem Roman „Ich hätte da ein paar Fragen an Sie“ eine innerlich zerrissene Figur, deren Persönlichkeit sich mit den Jahren gefestigt hat, die aber immer noch mit ihren Emotionen kämpft. Zwar hält der Roman aufgrund der Aufklärung des Mordfalls durchgehend eine gewisse hintergründige Spannung, aber es kommt zwischenzeitlich immer wieder zu Längen durch die Beschreibung von Szenen, die für die angeschnittenen Themen nicht weiterführend sind. Dennoch habe ich gerne verfolgt, ob es zu neuen Erkenntnissen und einer gerichtlichen Neubeurteilung der Tat kommen wird, daher empfehle ich das Buch an literarisch interessierten Lesende weiter. 


Dienstag, 3. Oktober 2023

Rezension: Die Insel der Tausend Leuchttürme von Walter Moers



Die Insel der Tausend Leuchttürme
Autor: Walter Moers
Hardcover: 656 Seiten
Erschienen am 6. September 2023
Verlag: Penguin

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Dem Lindwurm Hildegunst von Mythenmetz wurde von seinem Arzt ein Kuraufenthalt auf der Insel Eydernorn verschrieben, um seine asthmathischen Beschwerden zu behandeln, die ihn seit den Ereignissen in der Unterwelt der Labyrinthe von Buchhain plagen. In mehreren nie abgeschickten und hier als Roman abgedruckten Briefen an seinen Freund Hachmed Ben Kibitzer berichtet er von seiner gefährlichen Überfahrt und seinem ereignisvollen Kuraufenthalt auf der Insel im zamonischen Nordmeer. Die Insel ist nach den einhundertelf wundersamen Leuchtturmen benannt, die in der Nacht funkeln als wären es tausend und über deren als eigenbrötlerisch geltende Wärter Mythenmetz mehr herausfinden will. Auf der Besuch einiger Sehenswürdigkeiten der Insel wie der Stadt ohne Türen und den sprechenden Grabmalen steht auf dem Programm. Dabei erlebt er so manche Überraschung, bis es schließlich richtig gefährlich wird.

Das Buch beginnt mit einem Tagebucheintrag von Hildegunst von Mythenmetz, in dem er berichtet, dass er die Briefe von seinem Aufenthalt auf Eydernorn wiedergefunden hat. Erste Andeutungen machen neugierig auf das Erlebte. Die Reise beginnt gleich mit einer lebensgefährlichen Überfahrt durch einen außergewöhnlich starken Sturm, in welchem er als einziger nicht seekrank wird. Auf der Insel angekommen kommt er aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Ich war vor allem neugierig darauf, mehr über die titelgebenden Leuchttürme zu erfahren. Hier musste ich mich als Leserin aber in Geduld üben. Erst einmal erfuhr ich alles über die Mythenmetz erste Tage auf der Insel, unter anderem über seinen ersten Termin im Sanatorium für Atemwegserkrankungen, seine erste Partie Kraakienfieken in den Dünen sowie Besuche im Museum für eydernornische Kultur und im exklusiven Restaurant Fackelfisch. Die Erlebnisse werden detailreich beschrieben und gelungenen Illustrationen regen die Fantasie zusätzlich an. 

So kreativ und skurril dies war, ich wurde allmählich ungeduldig. Der Zeitraffer auf der Hälfte des Buches kam für mich daher genau zur richtigen Zeit. Danach fokussiert sich die Geschichte endlich auf die Leuchttürme und ihre Wärter. Mythenmetz findet sich plötzlich in einem jahrhundertealten Konflikt wieder, der kurz vor der Eskalation steht. Es kommt zu spannenden Szenen, die den Roman für mich gelungen abgerundet haben. Gerne empfehle ich das Buch an alle Fans von Walter Moers und Zamonien weiter!

Sonntag, 1. Oktober 2023

Rezension: Die Wahrheiten meiner Mutter von Vigdis Hjorth

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Die Wahrheiten meiner Mutter
Autorin: Vigdis Hjorth
Übersetzerin aus dem Norwegischen: Gabriele Haefs
Erscheinungsdatum: 27.09.2023
Verlag: S. Fischer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783103975123
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Die Norwegerin Vigdis Hjorth thematisiert in ihrem Roman „Die Wahrheiten meiner Mutter“ das toxische Verhältnis der Künstlerin Johanna zu ihrer betagten Mutter. Die Protagonistin hat als junge Frau in ihrem Geburtsland Norwegen einen Skandal in ihrer Familie verursacht, weil sie ihren erst vor kurzem angeheirateten Mann wegen einer Liebschaft verließ. Die Familie hat ihr diese Schmach nie vergeben und auch keine weiteren Sachverhalte, die sie als skandalöses Verhalten ansehen und nicht als das einer guten Tochter. Mit ihrem neuen Partner hat Johanna sich in Amerika ein Leben aufgebaut und einen gemeinsamen Sohn aufgezogen. Vor Jahren ist sie nicht zum Begräbnis ihres Vaters gefahren, weil Sorgen um ihren Mann sie bedrückten, wodurch sie sich ebenfalls den Unmut ihrer Mutter zugezogen hat.

Nach fast dreißig Jahren kehrt Johanna nach Norwegen zurück, weil ein Kunstmuseum eine Retrospektive ihrer Arbeiten zeigen möchte. Die Gedanken an ihre Mutter kann sie nicht ablegen. In einem durchgehenden Monolog erzählt sie dem Lesenden davon, wie und wo sie sich ihre gealterte Mutter vorstellt und was sie gerade tut. Sie beginnt damit, Kontakt zu ihr aufzubauen, erlebt aber Ablehnung.

Im Laufe der Zeit wird ihr bewusst, dass ihre Eltern sie in ihrer Erziehung nach ihren Vorstellungen formen wollten und ihre Zeit und ihr Geld darin investiert haben und sie deswegen enttäuscht sind, weil sich ihre Mühen nicht gelohnt haben. Sie selbst versucht ihrem Sohn einen Handlungsspielraum nach dessen Maß zu geben, in dem sie allerdings auch kleine Diskrepanzen wahrzunehmen glaubt.

Bei ihren Versuchen, die Mutter zu kontaktieren, wird sie immer kühner. Sie beobachtet sie über Stunden, wobei sie unentdeckt bleiben möchte, dabei aber vielleicht unbewusst eher anstrebt, wahrgenommen zu werden. Über ihren Handlungen kreist die Frage, warum ihre Mutter sie nicht sehen will. Sie fragt sich, ob es denn möglich ist, keine Mutter mehr sein zu wollen. In Erinnerung an ihre Kindheit stellt sie fest, dass ihre damalige Mutter-Tochter-Beziehung anderer Art war wie in späteren Jahren.

Johanna ergründet die Rolle ihrer sechs Jahre jüngeren Schwester und die Auswirkungen ihrer Geburt auf das Verhältnis zu ihrer Mutter. Bei ihren Grübeleien fällt ihr auf, dass sie mehr Ähnlichkeiten wie gedacht mit ihrer Mutter hat und diese auch ein Kind ihrer Eltern und deren Erziehung ist. Irgendwann empfand ich beim Lesen aber auch eine gewisse Länge, die durch die kreisenden Gedankengänge der Protagonistin hervorgerufen wurden.

Manche Kapitel sind sehr kurz und spiegeln dabei die Sprünge in ihren Überlegungen wider, die emotional bedingt sind. Sie erlebt ein Wechselbad ihrer Gefühle zwischen Hoffnung und Vorfreude, Zorn und Enttäuschung, ohne je die Sicherheit der elterlichen Liebe aus Kindertagen trotz Zurechtweisungen ganz verdrängt zu haben.

Mit dem Ergründen ihrer Beziehung zum weiblichen Elterteil findet die Künstlerin Johanna im Roman „Die Wahrheiten meiner Mutter“ von Vigdis Hjorth auch einen Weg zu sich selbst und zu dem, was ihr wichtig im Leben ist. Bis zum Ende hin bleibt offen, ob es ihr gelingen wird, das Herz ihrer Mutter wieder für sich zu öffnen. Gerne empfehle ich das Buch an feinfühlige Lesende weiter, die an der Seite der Protagonistin die Form einer feindselig gewordenen Mutter-Tochter-Beziehung ergründen möchten.