Bodie Kane, die Protagonistin im Roman „Ich hätte da ein
paar Fragen an Sie“ von Rebecca Makkai, hatte eine Mitschülerin, die vor über
zwanzig Jahren an der gemeinsam besuchten Schule ermordet wurde. Inzwischen
betreibt die Medienwissenschaftlerin gemeinsam mit einem Co-Moderator einen
Podcast über die Geschichte von Frauen im Film. Recherchetätigkeiten sind ihr
deshalb vertraut und sie ist sich sicher, dass bei der Aufklärung des damaligen
Mordfalls nicht alle Details geklärt wurden. Sie hinterfragt auch ihre eigene
Rolle bei den Befragungen im Umfeld des Opfers nach der Tat, denn eventuell hat
sie durch ihre Aussage die Ermittlungen in eine falsche Richtung getrieben.
Ein Video über den Mordfall, das Bodie vor wenigen Jahren
zugeschickt wurde, weckt längst vergessen geglaubte Erinnerungen in ihr und
ihre Zweifel daran, dass damals der richtige Täter verurteilt wurde, werden
hochgespült. Sie nimmt ein Angebot an, über zwei Wochen hinweg als Dozentin
einen Kurs über das Podcasten am Grandy College abzuhalten, dem Internat in New
Hampshire, das sie vier Jahre lang besucht hat. Sie beabsichtigt zwar nicht,
die Ermordung anzusprechen, aber sie schleicht sich in ihre Themenvorschläge
hinein. Als sie sieht, wie eifrig ihre Schüler(innen) sich dem Thema widmen, erhofft
sie sich, dass deren Betrachtung des Falls vielleicht Einzelheiten zu Tage
bringen, die damals nicht beachtet wurden.
Das Geschehen, sowohl in der Gegenwart wie auch die
Begebenheiten in der Vergangenheit, schildert Bodie als Ich-Erzählerin. Sie
wendet sich mit ihren Schilderungen an einen ehemaligen Lehrer, den sie
zwischenzeitlich auch direkt anspricht. Mit seinem Verhalten hat er damals ihr
Misstrauen in Bezug auf gewisse Details im Rahmen des Mordfalls geweckt. Hin
und wieder finden sich in der Geschichte Einschübe mit Bodies Rekonstruktionen,
wie es zum Mord gekommen sein könnte mit jeweils einer anderen Person, die sie
in den Mittelpunkt stellt.
Die Schilderungen ihrer gegenwärtigen Tätigkeit am College
werden immer wieder von einer Gedankenflut unterbrochen, in der Brodie in die
Vergangenheit reist. Stück für Stück entblätterte sie vor mir als Leserin ihre
Jugendzeit. Zwischen den Erinnerungen an das Geschehen rund um den Tod ihrer
Klassenkameradin drängen sich Gefühle zu verschiedenen Mitschülern(innen) und
Lehrer(innen) an die Oberfläche. Sie sieht sich als Schülerin, die sich nicht
leicht in die Klassengemeinschaft einfügen wollte, was auch an den Schikanen
von Klassenkamerad(inn)en lag.
Bei dem erneuten Aufrollen des Kriminalfalls verfolgte ich
interessiert die Schilderungen zum US-amerikanischen Justizsystems und den
darin schlummernden Ungerechtigkeiten. Brodie Kane erlebte am College
rassistisches Verhalten ihrer Mitschüler(innen), deren Unehrlichkeit, um sich
selbst ins beste Licht zu setzen und unterschiedliche Behandlung aufgrund
gesellschaftlicher Zugehörigkeit. Es kam zu verbalen und sogar körperlichen
Übergriffen, die sie heute nicht mehr tolerieren würde.
Rebecca Makkai thematisiert auf unterschiedliche Weise
Begebenheiten zu sexueller Belästigung, die ihre Protagonistin auch im
gegenwärtigen Leben berühren und nachdenklich darüber stimmen, ab wann man
diese als solche bezeichnen sollte. Sie zeigt Folgen für die Betroffenen auf
und die heutigen Möglichkeiten, in den Sozialen Medien darauf aufmerksam zu
machen. Bodie weiß aus Erfahrung, dass die Flut von Ereignissen, die die
Hörenden und Lesenden konsumieren in der Menge irgendwann in ihren Einzelheiten
verschwimmen.
Mit der Protagonistin erschafft Rebecca Makkai in ihrem
Roman „Ich hätte da ein paar Fragen an Sie“ eine innerlich zerrissene Figur,
deren Persönlichkeit sich mit den Jahren gefestigt hat, die aber immer noch mit
ihren Emotionen kämpft. Zwar hält der Roman aufgrund der Aufklärung des
Mordfalls durchgehend eine gewisse hintergründige Spannung, aber es kommt
zwischenzeitlich immer wieder zu Längen durch die Beschreibung von Szenen, die für
die angeschnittenen Themen nicht weiterführend sind. Dennoch habe ich gerne
verfolgt, ob es zu neuen Erkenntnissen und einer gerichtlichen Neubeurteilung
der Tat kommen wird, daher empfehle ich das Buch an literarisch interessierten
Lesende weiter.