Die US-Amerikanerin Rachel Yoder schreibt in ihrem Debüt
„Nightbitch“ über eine Künstlerin, die ihren Job in einer Galerie aufgegeben
hat, um sich nur noch um den zweijährigen Sohn und den Haushalt zu kümmern. Ihr
Spitzname ist titelgebend, aber es scheint, dass sie der doppelten Bedeutung der
„Bitch“ immer gerechter wird. Einerseits nimmt sie die Bezeichnung als
„Miststück“ selbstironisch, andererseits glaubt sie zunehmend, dass sie sich in
eine Hündin verwandelt, denn sie spürt erste körperliche Veränderungen in
dieser Richtung.
Die Autorin erzählt die Geschichte aus einer allwissenden
Sicht mit Fokus auf die Protagonistin, der sie keinen Vor- oder Zunamen gibt,
sondern sie gleich zu Beginn mit „Nightbitch“ oder „Mutter“ benennt. Das
besondere Stilelement wird eventuell vielen Lesenden hilfreich dabei sein, sich
in dieser Rolle wiederzuerkennen.
Nightbitch betont im Laufe der Geschichte mehrfach, dass sie
einen guten Mann geheiratet hat, doch wochentags ist er auf mehrtägigen Dienstreisen
unterwegs. Eigentlich wollte sie ihr Kind fremdbetreuen lassen, während sie weiter
im Job bleibt, doch dann hatte sie Mitleid mit ihrem Sohn, der wenig
Aufmerksamkeit durch die Erzieherinnen erhält. Weil das Gehalt ihres Ehemanns
höher als ihr eigenes ist, hat sie ihre Tätigkeit aufgegeben. Seit Monaten lebt
sie den Alltag einer Vollzeitmutter. Das Wohl ihres Kindes stellt sie über ihr
eigenes und verzichtet zunehmend auf Körperpflege, regelmäßige Mahlzeiten und
soziale Kontakte. In ihr erwachen Instinkte und Triebe, die sie neugierig
ausleben möchte und dabei spielerisch ihren Sohn mit einbezieht. Doch
allmählich entgleitet ihr die Kontrolle über das Spiel und sie agiert
unbeherrscht, wild und bestialisch.
Rachel Yoder schreibt mit hohem Einfühlungsvermögen. Ihre
überspitzte Darstellung lässt ein Augenzwinkern nicht vermissen. Als sensible
Künstlerin hat ihre Protagonistin ein unruhiges Gefühlsleben und schwankt
schnell zwischen Euphorie und Ermüdung. Die Arbeiten, die sie zu erfüllen hat, widmet
sie sich mit Leidenschaft. Nachdem ihr die Chance auf eine berufliche Karriere
scheinbar versagt ist, probiert sie ihre niedersten Begierden aus. Daraus
erklärt sich auch das Titelbild, denn es gelüstet sie unter anderem nach rohem
Fleisch.
Der Kontakt von Nightbitch zu anderen Müttern schildert die
Autorin zwar ebenfalls überzogen, aber dadurch macht sie deutlich, welche Erwartungen
die Gesellschaft an eine Mutterrolle knüpft. Erst als es der Hauptfigur
gelingt, über den Tellerrand ihrer selbst gestalteten Zurückgezogenheit zu
schauen und sie Mitgefühl für eine andere Mutter entwickelt, erwacht in
Nightbitch die verloren geglaubte Kreativität. Es gelingt ihr, nach neuen
Lösungen für die eingefahrene Situation in ihrem Leben zu suchen.
Der Debütroman „Nightbitch“ von Rachel Yoder ist eine
ungewöhnliche Lektüre, die in die tiefsten Sphären unserer ureigenen Instinkte
führt. Der Autorin gelingt es durch eine übertriebene Darstellung, die teils
auch amüsant ist, auf die besonderen Herausforderungen des Mutterseins
hinzuweisen, hinter der Frauen ihre eigenen Bedürfnisse viel zu häufig
herabsetzen. Ein unvergleichbarer, eindringlich erzählter Roman mit speziellem
Identifikationspotential, den ich gerne weiterempfehle