Erstmal vorweg: Ich finde, dass alles Gute, was ich vor dem
Lesen über den Roman „Das mangelnde Licht“ von Nino Haratischwili gehört habe,
stimmt!
Der Titel des Buchs bezieht sich auf ein Foto, das eine der
vier Protagonistinnen, die Fotografin von Beruf ist, von den anderen dreien aufgenommen
hat. Obwohl dieses Bild vom Sonnenlicht geflutet ist, fängt es die
desillusionierte Stimmung der Freundinnen ein, über deren junge Leben sich
viele Schatten gelegt haben. Dina hat als Fotografin sich nie, auch im
übertragenen Sinne nicht, mit zu wenig Licht zufriedengegeben. Auf ihre Weise
hat sie einen Kampf dagegen geführt, hat Situationen in Krisengebieten mit
ihrer Kamera festgehalten und die Fotos in Zeitungsartikeln und Ausstellungen
der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, damit die Welt hinschaut und erkennt.
Dabei hatte sie die Hoffnung, dass ihr Land, ihre Stadt, ihr Umfeld das dunkle
Geschehen beenden kann, das alles ins Verderben zieht.
Nach einer ersten Einführung der Hauptfiguren befand ich
mich im Jahr 1987. Aufgrund einer Einladung besucht die Ich-Erzählerin Keto
ebenso wie zwei ihrer Freundinnen in Brüssel eine Ausstellung mit Werken von
Dina, die das Vierer-Kleeblatt früher komplettiert hat, aber vor mehreren
Jahren verstorben ist. Durch die Erwähnung ihres Tods an einem Strick auf der
ersten Seite stellten sich bei mir als Leserin die Frage nach den Umständen ihres
Sterbens. Es wird viele Seiten brauchen, bis fast zum Ende des Romans, bis ich eine
Antwort auf meine Fragen erhalte.
Dinas Fotos haben nichts von ihrer Wirkung auf den
Betrachter verloren. Keto geht von Bild zu Bild. Jedes Foto ordnet sie darauf
ein, wann und wo es aufgenommen wurde. Ihre Erinnerungen entwickeln sich zu
einer Geschichte, die auf die Jahre der Freundschaft der vier Frauen
zurückblickt, die Ende 1980er Jahre beginnt.
Während sich Georgien noch in einer starken
Unabhängigkeitsbewegung befindet, werden die späteren Freundinnen Dina, Nene,
Ira und Keto in Tiflis zu Klassenkameradinnen. Dina ist von den vier Frauen
diejenige, die am stärksten nach Freiheiten sucht, sowohl im Denken wie auch
für ihre Handlungen. Nene wächst in einer patriarchalen Familie auf, bewahrt
aber trotz strenger Vorgaben immer ihre Gutmütigkeit, gelegentlich gepaart mit
Sentimentalität. Dagegen ist Ira die Strebsamste und steht Fakten nüchtern
gegenüber. Die drei Freundinnen, die bei ihren Familien in der Altstadt leben, brauchen
Keto in ihrer Mitte, um den Zusammenhalt durch ihr ausgleichendes Gemüt zu
sichern. Sie stehen einander bei, als sie den ersten Liebeskummer erleben.
Schwieriger wird ihre Beziehung, nachdem Freunde, Bekannte und Verwandte sich
zu zwei konkurrierenden Gangersterbanden zusammenfinden und sie sich auf
verschiedenen Seiten wiederfinden mit wenig Möglichkeiten, sich den Verbrechen
entgegenzustellen.
Die Autorin erzählt mit einer großen Genauigkeit, die sich
nicht mit der Schilderung des Erlebten begnügt, sondern auch die Hintergründe
öffnet. Sie lässt Keto nicht nur ihre eigenen Gefühle beschreiben, sondern sie lässt
sie auch sich in die Gedankenwelt der Freundinnen versetzen. Aufgrund
gemeinsamen Gespräche sucht Keto nach Gründen für deren Handlungen. Jedes der
von Keto in Brüssel betrachteten Fotos bringt eigene Geschichten ans Licht:
romantisch oder mit grausamen Folgen, voller Lebensfreude oder am Ende der
Hoffnung, aber immer lesenswert gestaltet, so dass ich keinen Part missen
wollte.
Die vier Freundinnen wachsen inmitten eines Umfelds auf, in
dem die einen nach Macht trachten und die anderen sich diesen Bestrebungen
beugen. Schon früh wird ihnen schmerzlich deutlich, dass sie nur durch eigenes
Tun den um sie befindlichen Ring aus Gewalt und Verzweiflung durchbrechen
können. Über die vielen Seiten des Romans hinweg liegt eine unterschwellige
Spannung, ob das den jungen Frauen gelingen wird.
In ihrem Roman „Das mangelnde Licht“ erzählt Nino
Haratischwili mit großem Einfühlungsvermögen von der Freundschaft vier junger
georgischer Frauen, die während der Bewegung zur Unabhängigkeit des
sozialistischen Landes aufwachsen. Ihre Verbundenheit wird vielfach auf die
Probe gestellt durch Eifersucht und Gewalt im Umfeld bis hin zu Verrat, ist
aber ebenso geprägt von gemeinsamen Momenten des Glücks und Hilfsbereitschaft.
Sehr gerne empfehle ich das Buch uneingeschränkt weiter.