Autorin: Iris Wolff
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Lev reist gemeinsam mit Kato seit sechs Wochen durch Europa. Doch nun hat er ihr eröffnet, dass er zurückmuss. Überraschenderweise teilt sie ihm kurz vor der Abfahrt mit, dass sie mitkommen wird. Mit dieser kurzen Episode beginnt das Kapitel "Neun" von Iris Wolffs neuem Roman Lichtungen. Dieser Romananfang ist das Ende der Geschichte, und gleichzeitig ist es das auch nicht.
Ich war ehrlicherweise kurz irritiert, als es im Kapitel "Acht" ein Wiedersehen zwischen Lev und Kato gibt, die sich seit fünf Jahren nicht gesehen haben. Dann habe ich aber schnell geschaltet und mich auf diesen rückwärts erzählten Roman eingelassen. Kato ist eine Straßenkünstlerin, die in diesen fünf Jahren mit Tom in Europa unterwegs war, während Lev in der rumänischen Heimat im Sägewerk gearbeitet und Postkarten von ihr erhalten hat. Ihre Einladung, nach Zürich zu kommen, nimmt er an und macht auf dem Zwischenstopp bei seinem Großvater Ferry in Wien Halt, den er dort noch nie besucht hat.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht Lev, der sich seiner rumänischen Heimat verbunden fühlt. Seine Vorfahren stammen aus Rumänien, Siebenbürgen und Österreich, einer Zuteilung zu einer Gruppe verweigert er sich. Ich erhielt nicht nur Einblicke in seine persönliche Geschichte, sondern auch in die Situation in Rumänien vor und nach der Revolution, wo sich immer mehr Menschen entschließen, das Land gen Westen zu verlassen.
Die einzelnen Kapitel sind dicht und intensiv erzählt. Sie schildern wegweisende Situationen in Levs Leben. Dabei werden zahlreiche Fragen aufgeworfen und Andeutungen gemacht, deren Auflösung in der Vergangenheit und damit den nachfolgenden Kapiteln wartet. Warum ist der Großvater nach Wien gegangen? Was hat es mit dem Unfall auf sich, den er erwähnt? Und wer ist Camil, nach dessen Verschwinden Kato lange nicht gemalt hat? Die Lücken zwischen den Kapiteln sind oft mehrere Jahre groß, sodass es auch lebensverändernde Momente gibt, die nicht erzählt werden und die sich aus dem Danach und Davor erschließen.
Das Cover zeigt eine Amsel. Es könnte eins der Bilder von Kato sein, welche sie auf Grundlage der Melodien gemalt hat, die Camil gesammelt hat. Kato war für mich der interessanteste Charakter des Romans. Sie hat mit ihrer künstlerischen Begabung und Intelligenz Wege gesucht und gefunden, um ihre Neugier zu stillen und sich selbst zu verwirklichen. Sie ist in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von Lev, dennoch harmonieren die beiden gut miteinander und ich erhielt mit der Zeit ein gutes Verständnis für die Art ihrer Beziehung zueinander.
Aufgrund der Kürze der Einblicke hatte ich stets das Gefühl, nur eine Weile zu Gast sein zu dürfen und nicht vollends in die Geschichte eintauchen zu können. Insgesamt habe ich Lev und Kato aber sehr gern durch rund 30 Jahre ihres Lebens und den Wandel, der um sie herum in dieser Zeit geschieht, begleitet. Die rückwärts gerichtete Erzählweise macht den Roman dabei zu etwas Besonderem. Ein Buch für alle, die Lust haben, den Spuren in Levs Leben bis zu ihren Anfängen zurück zu folgen.