Alem Grabovac hat mit seinem Buch „Die Gemeinheit der Diebe“
eine Fortsetzung seines Debütromans „Das achte Kind“ geschrieben, das man aber
auch eigenständig lesen kann, denn auch ich kannte das Debut nicht. Beide
Bücher sind autofiktional geschrieben. Smilja, die leibliche Mutter des Autors
entwickelte mit über 70 Jahren Wahnvorstellungen. In einem Gespräch mit ihrem
Sohn wirft sie die Frage auf, was im Leben bleibt, das nie gelebt wurde. Der
Autor versucht in Erinnerungen zu ergründen, wer die Lebenszeit der Mutter im
übertragenen Sinn gestohlen hat. Sein eigenes Leben ist unweigerlich mit dem
seiner Mutter verbunden, weswegen er auch von dem erzählt, was er selbst seit
Kindertagen erlebt hat wie zum Beispiel das Ringen um die deutsche
Staatsbürgerschaft, sein Studienaufenthalt in England und seine Reise nach
Nordamerika.
Smilja will als Heranwachsende den ärmlichen Verhältnissen
des kleinen kroatischen Dorfs, in dem sie aufwächst, entkommen. Sie bewirbt
sich, während sie in Zagreb als Küchenhilfe arbeitet, auf eine Stellenanzeige
in Würzburg und wird eingestellt. Damit beginnt ihr Leben in Deutschland, bei
dem sie zunächst noch von weiteren Migrant(inn)en umgeben lebt. In einen von
ihnen verliebt sie sich, heiratet ihn und wird bald darauf mit ihrem Sohn
schwanger. Ihr Mann erweist sich als unzuverlässig, so dass sie selbst wieder
arbeiten gehen will. Daher gibt sie ihren Sohn in Pflege und ist fortan für ihn
eine Mutter am Wochenende und in den Ferien. Seither steht sie in einer Fabrik
am Fließband und lässt nicht ab von ihrem großen Traum, für den sie ständig
etwas von ihrem Lohn beiseitelegt.
Später hat sie einen neuen Partner, der das
Mutter-Sohn-Verhältnis aufreibt. Ihrem Wunsch rückt sie Stück für Stück näher,
doch verschiedenste Ängste begleiten sie auf ihrem Weg. Ihre Arbeit verschlingt
Stunde um Stunde, so dass der Autor sich oft mehr Zeit mit ihr wünscht. Alem
Grabovac vollzieht die Gründe der Entscheidungen seiner Mutter nach, die die
Weichen in ihrem Leben gestellt haben. Smilja ist stolz auf ihren Sohn, auf
sein Abitur und sein Studium. Doch dann überrascht er sie mit seiner
Berufswahl.
Der Autor ist ein guter Beobachter, der in unprätentiösem
Stil interessante, erzählenswerte Ereignisse aus seinem und dem Leben seiner
Mutter beschreibt. Er drückt seine Empfindungen in bestimmten Situationen aus,
was diese nachvollziehbar macht. Im Zusammenspiel seiner Erfahrungen mit seinem
Wissen kann er den gesellschaftlichen Hintergrund der Migration in Deutschland
mit dem anderer Länder vergleichen. Der offene Ton, den Alem Grabovac in seiner
Geschichte anschlägt, ließ mich über Parallelen zu Lebenswegen von
Migrant(inn)en in meinem Umfeld reflektieren.
Am Leben seiner aus Kroatien stammenden Mutter verdeutlicht
Alem Grabovac, dass diese sich durch ihre Einwanderung in Deutschland ein Stück
vom Glück erhoffte und über viele Schwierigkeiten hinweg nie darin nachließ,
ihr Ziel aufzugeben. Es zeigt sich immer wieder, dass wir als Menschen die
Folgen unseres Handelns nicht immer richtig einschätzen. Die Geschichte dieser
schwierigen Beziehung zwischen Mutter und Sohn berührt und stimmt nachdenklich.
Gerne empfehle ich das Buch weiter.