Nachdem er einen dubiosen Brief erhalten hat, beschließt der
79-jährige Heinz Labensky spontan, sich auf die Reise vom Seniorenheim in
Erfurt, in dem er lebt, nach Warnemünde zu begeben. In ihrem Roman „Heinz
Labensky – und seine Sicht auf die Dinge“ beschreiben Anja und Michael Tsokos
die lange Fahrt ihres Protagonisten mit einem Flixbus an sein gewünschtes Ziel.
Der titelgebenden Figur bleibt dabei genügend Zeit, sich an sein bisheriges
Leben zu erinnern und dieses wechselnden Mitreisenden zu erzählen. Der
erhaltene Brief hat Heinz Labensky von der Tochter seiner Jugendliebe Rita Warnitzke
erhalten. Darin berichtet sie ihm, dass in einer Berliner Klärgrube die
sterblichen Überreste einer Frau gefunden wurden, die eventuell ihre 1975
verschwundene Mutter sein könnte.
Zu Beginn seiner Reise erinnert der Protagonist sich an die
Zeit, in der Rita in das bäuerliche Dorf in Brandenburg zog, in dem er zusammen
mit seiner Mutter wohnte. Beide werden sie im Ort zu Außenseitern, weil Rita das
Kind eines Seitensprungs ihrer verstorbenen Mutter ist und weil Heinz als schulbildungsunfähig
mit elf Jahren aus der Grundschule entlassen wird. Als Rita nach ihrem
Schulabschluss ein Stipendium an der Kunsthochschule in Berlin wahrnimmt,
trennen sich vorläufig ihre Wege, doch einige Jahre später reist Heinz auf der
Suche nach ihr nach Berlin und trifft sie dort zufällig in einer Eisbar. Er
bleibt in ihrer Nähe, bevor sie eines Tages unangekündigt verschwindet.
Die persönlichen Erinnerungen von Heinz sind eng verbunden
mit der Geschichte der DDR. Einige Male hat er als unbedeutende Randfigur den
weiteren Verlauf der Historie beeinflusst. Jedes Mal ist er rein zufällig in
die Geschehnisse hineingeschlittert. Dabei basieren die jeweiligen
Begebenheiten, die Heinz erzählt, auf einem wahren Hintergrund. Das Ehepaar
Tsokos lässt den Alltag in der DDR aufleben, indem sie unter anderem damals
übliche Bezeichnungen verwenden, Errungenschaften einbinden und kulturelle
Ereignisse beschreiben. Ich fand es interessant, dem Protagonisten auf seinem gedanklichen
Weg durch die Vergangenheit zu folgen.
Allerdings fand ich, dass die Figur des Heinz nicht ganz zum
gesteckten Rahmen des Romans passte. Immer wieder wird betont, dass der
Protagonist geistige Schwächen besitzt, auch von sich selbst behauptet er das,
doch seine Erinnerungen memoriert er ausschweifend und detailliert. Er kennt
die Bedeutung von Abkürzungen aus der Soziokultur und erinnert sich an
fremdländische Vor- und Zunamen, während er jedoch beispielsweise die Bedeutung
des Begriffs provisorisch nicht kennt. Durchgehend ergab sich beim Lesen für
mich dadurch eine unpassendes Bild der Figur zu den Schilderungen. Außerdem
konnte ich mir nicht vorstellen, dass die beiden Kinder zu Beginn der Reise seinen
exzessiven Ausführungen mit Aufmerksamkeit zuhörten. Die Figur des Heinz kam
mir leider nicht nah.
Der Roman „Heinz Labensky – und seine Sicht auf die Dinge“
von Tsokos & Tsokos erzählt einige weniger beachtete, aber wichtige
Begebenheiten der 1960er und 1970er Jahre in der DDR aus der ausschmückenden Sicht
des Protagonisten, der sich auf die Suche nach dem Verbleib einer Freundin aus
seinen Kinder- und jungen Jahren macht. Leider empfand ich den Charakter des
Heinz als wenig realistisch. Ansonsten brachten die Geschehnisse mir einige
Erinnerungen der Vergangenheit zurück.