Im ihrem Roman „Weltalltage“ lässt Paula Fürstenberg eine
unbenannte Du-Erzählerin, im Folgenden von mir als Freundin bezeichnet, die
Geschichte der langjährigen Freundschaft mit ihrem besten Freund Max erzählen.
Die enge Beziehung kommt an einen Punkt, bei dem sich die darin eingenommenen
Rollen wesentlich verändert haben. Die Du-Form wird über die gesamte Geschichte
hinweg beibehalten und spiegelt die inneren Konflikte der Freundin wider,
sozusagen in einem nicht endenden Dialog mit sich selbst. Weltalltage nennt die
Freundin die Tage, an denen ihr Körper von Kindheit an scheinbar über den
Dingen schwebt. Die Schrift auf dem Titel verdeutlicht, wie schwankend die Welt
sich für die Freundin an solchen Tagen verstellt. Max ist ihr am Rand eine
Stütze, doch als er krank wird, kommt die von ihm gebotene Strebe in
Schräglage.
Die Freundin und Max kennen sich seit der siebten Klasse.
Beide sind nun Anfang Dreißig, ohne feste Partnerschaft und teilen sich eine
Wohnung. Max hat eine Festanstellung als Architekt. Als Redaktionsassistentin
erhält die Freundin den Auftrag, Max zu porträtieren, doch das Ergebnis ist
umfasst viel mehr Seiten als gewünscht. Dadurch kommt sie auf die Idee, aus dem
Geschriebenen einen Roman zu gestalten. Sie kündigt ihren Job, aber es fällt
ihr schwer, einen Anfang für ihre Geschichte zu finden. Eines Tages teilt Max
ihr mit, dass er im Krankenhaus behandelt werden soll. Im Nachhinein wird ihr bewusst,
dass sich Max über längere Zeit verändert hat. Sie war stets die chronisch
Kranke, der Max bestimmte Hilfeleistungen anbot. Nun beginnt die Freundin zu
grübeln, ob ihre Worte und ihr Tun für eine Heilung nützlich sind.
Aus der Suche nach einem Anfang für die Geschichte von Max
wird eine Suche nach der passenden Sprache. Das Engagement der Protagonistin
als Schriftstellerin bringt Max zum Nachdenken und plötzlich steht die
berechtigte Frage im Raum, wem eine zu veröffentlichende Lebensgeschichte
gehört. Für die Freundin ist es wichtig, dass ihre Welt Ordnung und Struktur
hat, was vor dem Schreiben nicht Halt macht. Daher besteht der Roman aus
ausgeführten Listenpunkten. Mal ist es das Alphabet, mal sind es Zahlen, aber
auch Monate und Jahre oder ein aufgeworfenes Thema, die die Abschnitte der jeweils
abzuarbeitenden Liste bilden.
Die eigenwillige Kunstform funktioniert im Roman par
excellence! Paula Fürstenberg fokussiert ihre Protagonistin, die im gleichen
Alter ist wie sie selbst, immer wieder auf wichtige Themen und schneidet dabei so
manches Auffällige an, manchmal mit dem Finger auf der Wunde, auch mal mit
ironischer Ergebenheit. Eigene Erfahrungen und Beobachtungen fand ich bestätigt.
Dabei fragte ich mich, in weit die Autorin eigene Erlebnisse einfließen lässt,
weil sie sehr einfühlsam, nachvollziehbar und wahrhaftig schreibt. Immer wieder
zitiert sie Persönlichkeiten. Ein Literaturverzeichnis befindet sich am Ende
des Buchs.
Die Krankheit von Max wird für beide Protagonisten unfassbar
und stellt ihre Freundschaft auf eine harte Bewährungsprobe. Anhand von
Rückblicken versucht die Freundin das Verhältnis zu klären. Sozusagen als Bonus
findet sich auf der Innenseite des hinteren Einbands eine Abrechnung. Erst die
Probleme in der Freundschaft bieten der Freundin die Chance, die gewohnte
Routine zu verlassen, sich im vorsichtigen Rahmen über ärztliche Verbote
hinwegzusetzen und dabei neue Möglichkeiten für sich und ihren Körper zu erkunden.
Empfindsame Lesende sollten wissen, dass in der Geschichte neben Symptomen des
Schwindels, unter anderem auch Depression und Endometriose thematisiert werden.
Das Denken an die Vergangenheit führt die Freundin in den
Osten Deutschlands, das Studium in den Westen, wodurch sich in ihre
Erinnerungen Überlegungen zur gesellschaftspolitischen Lage mischen. Die
Großmutter von Max, die im Ostenlebt, ist sich sicher, dass die deutschen
Verhältnisse zum Ableben einiger Familienmitglieder beigetragen haben. Diese
interessante These wird im Laufe der Erzählung geklärt.
Gerne vergebe ich für den sichtbar außergewöhnlich
gestalteten, tiefgründig geschriebenen und mich begeisternden Roman
„Weltalltage“ von Paula Fürstenberg eine Leseempfehlung.