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Der Debütroman „Annas Lied“ von Benjamin Koppel, einem
dänischen Jazz-Saxophonisten, Komponisten und Musikproduzent, ist eine Hommage
an seine Großtante, deren Leben er darin beschreibt. Beruhend auf Fakten und
ergänzt mit Fiktion erzählt er von seiner Familie, die Ende der 1920er Jahre in
Kopenhagen lebte. Damals war Hannah, die Schwester seines Großvaters, acht
Jahre alt. Sie hatte vier ältere Bruder. Die Wurzeln ihrer Eltern lagen in
Polen, doch inzwischen lebten weitere Verwandte in der Nähe. In der dänischen
Hauptstadt hatte Hannahs Vater sich als Schneider niedergelassen.
Der Autor lässt den Alltag in der quirligen Familie lebendig
werden. Er beschreibt die jüdischen Riten, die Hannahs Eltern befolgen und
darauf achten, dass dabei ihre Kinder eingebunden sind. Klassische Musik spielt
eine große Rolle. Drei der vier Brüder von Hannah wurden Musiker. Der Wunsch
der Mutter, dass ihre Söhne Frauen heiraten, die ihrer Religion angehören, ging
jedoch nicht in Erfüllung, obwohl erbetene Ehevermittlungen erfolgreich
versprechend waren. Aufgrund ihres musischen Talents ist Hannahs großer Traum,
Pianistin zu werden, doch ihre Eltern haben eine ganz andere Zukunft für sie
geplant.
Hannahs Mutter Bruche erweist sich als Matriarchin, die
ihren Willen unter Umständen mit Wutanfällen durchzusetzen vermag. Das
Verhalten ihres Ehemanns wirkt ausgleichend auf sie, aber auch er kann es ihr
nicht immer recht machen. Bruche ist stolz auf ihre Kinder, jedoch spürt Hannah
auch ihre tiefe Enttäuschung über die Abkehr der Söhne von den religiösen
Gepflogenheiten. Sie will sie nicht ebenfalls enttäuschen und ordnet sich
unter. Im Weltkrieg flieht Hannah mit ihren Eltern nach Schweden, doch nachdem
Frieden eingekehrt ist, führt das Schicksal sie nach Paris, wo der von den
Eltern Ausgewählte auf sie wartet.
Benjamin Koppel hatte das große Glück, seine Tante noch im
hohen Alter kennenzulernen und vieles aus ihrem Leben aus erster Hand zu
erfahren. Hannahs Leben hatte einige tragische Tiefen, aber sie hat nie den Mut
aufgegeben, obgleich ihr vieles versagt blieb. Ihr sind kritische Ansichten zu
ihrem Lebensstil angetragen worden, doch sie ist immer treu geblieben, was
manchem unverständlich sein mag. Vor allem auf den ersten beiden Dritteln des
Buchs passiert ständig etwas Unvorhersehbares. In den späteren Dekaden von
Hannahs Leben verweilt der Autor nur noch bei einzelnen Szenarien und schreitet
dadurch in der Handlungszeit schnell voran. Erst im hohen Alter erfüllt die
Protagonistin sich einen langgehegten Wunsch.
Im Roman „Annis Lied“ beschreibt der Autor Benjamin Koppel den Lebensweg seiner Großtante Hannah Koppelmann, die einer jüdischen Familie mit religiösen Traditionen angehörte. Ihr Leben wird gestreift von der Geschichte der Judenverfolgung, ebenso ist es verknüpft mit der Liebe zur Musik. Mit dem Bewusstsein, dass man hier über ein tatsächlich gelebtes Leben liest, wird das Geschriebene zu einem berührenden Lesegenuss, den ich gerne weiterempfehle.