Nach dem Tod ihres Vaters findet Vilja beim Aufräumen in
seiner Wohnung in Helsinki ein Bündel Briefe, das in einer Blechdose steckt.
Jeder von ihnen ist mit „Deine Margot“ unterschrieben. Dieser Umstand gibt dem
Debüt der finnischen Autorin Meri Valkama den gleichlautenden Titel. Die
Kastanien auf dem Schutzumschlag des Buchs stehen in Bezug auf den Spitznamen
von Vilja als Kind, an den sie sich nicht erinnert. Der Vorname des Politikers
der DDR auf der fingierten Briefmarke, die oben rechts auf dem Cover zu sehen
ist, dient als Pseudonym dem Herrn, dem Margot ihre Liebe schenkt. Die
Geschichte spielt auf zwei Handlungsebenen. Einerseits begleitete ich als
Leserin Vilja auf ihrer Spurensuche nach Margot ins Berlin des Jahres 2011. Auf
der anderen Seite erfuhr ich, wie es ab 1983 zu der Beziehung der Titelgeberin
mit ihrem Liebhaber gekommen ist.
Vilja kann sich aufgrund einer Kindheitsamnesie an die mit
der Familie erlebten Jahre in Berlin nur bruchstückhaft erinnern. Ihr Vater Markus
ist Auslandskorrespondent einer finnischen Zeitung. Mit ihren Eltern und ihrem älteren
Bruder zieht Vilja 1983 von der finnischen Heimat aus nach Ost-Berlin. Bald
geht Vilja dort in die Kindertagesstätte, die es immer noch gibt, als sie 2011
die deutsche Hauptstadt besucht. Ansonsten hat sich dort einiges geändert. Die
Streitigkeiten zwischen Vater und Mutter führten in den 1980er Jahren dazu,
dass die Familie 1987 zurück nach Finnland gezogen ist. Vilja vermutet nach
ihrem Fund einen Zusammenhang zwischen dem Umzug und den Briefen von Margot. Einige
Jahre danach haben sich ihre Eltern getrennt.
Die Geschichte wechselt nicht nur zwischen den
Handlungszeiten, sondern auch zwischen den in den Kapiteln im Fokus stehenden
Personen. Meri Valkama schreibt als allwissende Erzählerin, wodurch der Lesende
von den Gefühlen der entsprechenden Figur unmittelbar erfährt und auch eine Erklärung
für deren Handeln erhält. Bei Viljas Mutter Rose schaut sie auf ein Problem,
mit dem viele Frauen kämpfen: den Haushalt führen und die Kinder erziehen, während
man sich gleichzeitig im Beruf behaupten möchte. Doch die Arbeitstage von Markus
werden zunehmend länger, wofür er ihr immer eine gute Erklärung liefert. Die
beiden führen eine Ehe, bei der sie sich einig sind, dass Spielereien mit
anderen Partnern erlaubt sind, solange man treu bleibt.
Der Roman beginnt mit dem letzten Brief von Margot, der
einen Monat vor dem Fall der Berliner Mauer geschrieben wurde. Weitere Briefe
sind in unregelmäßigen Abständen zwischen den Kapiteln zu finden. Sie gehen
zeitlich immer weiter im Datum zurück. Ende September des gleichen Jahres teilt
Margot ihrem Liebhaber mit, dass sie ihren Mitbewohner als Volksverräter
verhaftet haben. Ihre Angst, ebenfalls unter Beobachtung zu stehen, ist
deutlich aus ihren Zeilen herauszulesen. Sie fürchtet auch, dass die Liebe zueinander
sich verändert hat. Eine düstere Ahnung bemächtigt sich Viljas, als diese mehr
zum Thema des Beschattens in der DDR erfährt und sich fragt, wer für die
Inhaftierung verantwortlich ist. Sie erkennt, dass das verdeckte
leidenschaftliche Verhältnis auch durch die politischen Verhältnissen geprägt
wurde.
Viljas Mutter will sich nicht an die Zeit in Berlin erinnern
und rät ihr, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Der Tod ihres Vaters und die
durch die Briefe veranlasste Entdeckung, dass ihr die Erinnerung an die
Kindheit in großen Teilen fehlt, wirken sich auf Viljas Gemütszustand aus.
Dadurch fühlt sie sich veranlasst, skeptisch ihre eigene Beziehung in den Blick
zu nehmen.
Meri Valkama versteht es vorzüglich, einen Teil der
deutschen Geschichte mit einer Liebesaffäre zu verknüpfen, die sie einfühlsam
beschreibt und auch darauf schaut, wie sich das familiäre Umfeld dabei
verändert. Tiefgehend schaut sie auf zerbrechliche Bindungen, die jede und
jeder von uns eingeht und stellt die Frage in den Raum, inwieweit man sich den
Erinnerungen widmen sollte, wenn man fest in der Gegenwart verankert ist. Sehr
gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für den Roman „Deine Margot.