Wäre das Haus der Protagonistin Johanna aus Wind gebaut,
dann könnte sie nichts umwerfen. Doch im entsprechend benannten Debütroman „Haus
aus Wind“ von Laura Naumann ist das Leben von Johanna in Schräglage gekommen.
Daher nimmt sie sich eine Auszeit und reist an die Algarve, um dort das Surfen
zu lernen.
Das Cover setzt sich ausschließlich aus den Zahlen Eins und
Null des Binärystems zusammen. Binarität lässt sich auch auf
Zweigeschlechtlichkeit beziehen. Daher weist die Umschlaggestaltung auf die bis
heute anhaltende Ungleichbehandlung von Frauen im Vergleich zu Männern im Profisport
des Surfens hin, die die Autorin unter anderem thematisiert. Das Verständnis
wichtiger Dialoge von Johanna mit Personen in ihrem multikulturellen Umfeld in
Portugal wird erschwert, weil sie fast alle in Englisch geführt werden, was die
Kenntnis der Sprache bei den Lesenden voraussetzt.
Recht bald wird deutlich, dass die fast 30-jährige Ich-Erzählerin
Johanna aus ihrem Wohnort Berlin vor etwas geflohen ist, was mir als Leserin zu
Beginn noch nicht greifbar wurde. Sie hat Ängste entwickelt, spürt ein
Vibrieren im Körper und hofft nun, dass sie sich im Urlaub davon ablenken kann.
Vor fast zwanzig Jahren hat sie bereits begonnen, als Synchronsprecherin zu
arbeiten und seither keine längere Pause genossen. Nun liegt ein Jahr hinter
ihr, dass sie viel Kraft gekostet hat, denn beispielsweise ist ihre Beziehung
ist in die Brüche gegangen. In ihrem Reisegepäck befindet sich ein
Plüschhamster, mit dem sie sich oft in Lautstärke unterhält. Diese geschickte
Gestaltung trägt dazu bei, dass die inneren Konflikte der Protagonistin sichtbar
werden.
Immer wieder erzählt Johanna in kurzen Abschnitten von ihrer
Kindheit. Ihre Eltern sind engagiert im Beruf, daher ist die Familie finanziell
gut aufgestellt. Aber ihre eigene Arbeit lässt ihr wenig Zeit für
Freundschaften zu Gleichaltrigen. Sie erzählt in ihrem Umfeld nie von ihren
Synchronisationen, um sich nicht vor anderen hervorzutun. Schon in jungen
Jahren findet sie eine Partnerin, mit der sie lange Zeit zusammenlebt.
In Portugal erlebt sie eine unbeschwerte, aber körperlich
anstrengende Zeit. Sie bewundert ihre Surflehrerin, mag die Art und Weise wie
sie sich kleidet und ihre Schüler*innen anleitet. Nach den vierzehn Tagen ihres
Urlaubs möchte sie nicht nach Hause zurückkehren, denn es widerstrebt ihr, sich
erneut dem Termindruck zu unterwerfen. Sie genießt neue Freundschaften und die
Nähe von anderen Frauen, wobei sie sich verliebt, mehrfach sogar. Es ist schwierig für sie, herauszufinden, wie
sie ihre Zukunft gestalten möchte. Auf diesem Weg macht sie auch schmerzhafte
Erfahrungen. Sie stellt fest, dass auch andere, ebenso wie sie selbst, in der
Freiheit des Moments, ihre Vergangenheit nach eigenen Regeln zugänglich machen.
Laura Naumann erzählt in ihrem Debüt „Haus aus Wind“ einfühlsam von weiblichen Partnerinnenschaften. Dabei arbeitet sie heraus, welchen Klischees sich Frauen entgegenzusetzen haben und welchen Problemen sie sich ausgesetzt sehen. Gleichzeitig schaut die Geschichte exemplarisch darauf, welche Ansprüche die Medienbranche in Bezug auf Disziplin und Resilienz bereits an Kinder stellt. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.