Der Roman „Im Nordwind“ ist der erste Band einer Dilogie von
Miriam Georg, die die Frauenrechte in der Hansestadt Hamburg in den 1910er
Jahren ebenso wie Standesunterschiede in dieser Zeit thematisiert. Die
Protagonistin Alice ist verheiratet und hat eine fünfjährige Tochter. Gemeinsam
wohnen sie in einer kleinen Wohnung in einem zweiten Hinterhaus auf der
Uhlenhorst. Einer alten Familienweisheit zufolge bringt Nordwind Ärger, was für
Alice zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung zu werden scheint.
Alice arbeitet in einer Kämmerei und muss ihren schwer
verdienten Lohn bei ihrem Ehemann Henk abliefern. Wenn er sie als ungehorsam empfindet,
hat das schmerzhafte Folgen für sie. Als er auch Tochter Rosa immer mehr
zurechtweist und Alice sie an Körper und Geist gefährdet ansieht, beschließt sie,
sich von ihrem Ehemann zu trennen. Bei der wöchentlich stattfindenden Sprechstunde
der Rechtsberatung der Sozialfürsorge trifft sie auf den Rechtsanwalt John
Reeven, der sich dort ehrenamtlich engagiert und ihre Scheidung in die Wege
leiten soll.
John stammt aus einer alteingesessenen, angesehenen
Unternehmerfamilie, ist verlobt und lebt noch in der elterlichen Villa, die in
einer der vornehmsten Gegenden Hamburgs steht. Bei dem ersten Besuch von Alice
möchte er ihren Fall schnell zu den Akten legen, denn die geltenden Gesetze
sprechen Frauen wenige Rechte in der Ehe zu. Doch Alice beharrt weiterhin auf
seine Hilfe und ihre Verletzungen nach einem Ehestreit veranlassen ihn, ihr
beizustehen.
Sowohl Alice wie auch Henk stammen aus einer
Schaustellerfamilie. Auf den ersten Seiten wird durch den Bruder der
Protagonistin angedeutet, dass er sie einmal verloren hat, ohne dass ich
zunächst als Leserin die Bemerkung einordnen konnte, Nach etwa einhundert
Seiten wechseln Handlungszeit und -ort. Im Jahr 1896 wächst in der Nordmarsch
ein Mädchen heran, dass dort ehemals nicht beheimatet war. Schon bald ahnte
ich, wer mir aus der Ich-Erzählerin in diesem Perspektivenwechsel seine Geschichte
erzählt. Von diesem Zeitpunkt an blickt die Erzählung über die Begebenheiten im
Jahr 1913 immer wieder einmal in die Vergangenheit.
Beide Handlungsstränge gestaltet die Autorin dank ihrer sehr
guten Recherche authentisch und bewegend. Obwohl man es weiß oder zumindest
ahnt, ist es erschreckend darüber zu lesen, wie groß die Unterschiede der
Rechte von Frauen im Vergleich zu denen der Männer in der damaligen Zeit waren,
Interessant fand ich die Einbindung von speziellen Hamburger Gepflogenheiten,
nicht nur in Verbindung mit der Rechtsberatung und Sozialfürsorge, sondern auch
mit dem Stand des Adels.
Alice kämpft jedoch nicht nur darum, als gleichwertig in der
Ehe angesehen zu werden, sondern ist sich auch Standesunterschieden bewusst.
Für ihre Tochter wünscht sie ein unbeschwerteres Leben, als sie es bisher
selbst kennengelernt hat. Durch den Kontakt zu John und seiner Familie wird ihr
vor Augen geführt, was Wohlstand bewirken kann. Aber von außen ist nicht
sichtbar, was die Familie von innen bewegt. Die Krankheit von Johns Vater
stürzt die Geschwister Reeven in große Probleme und es kommt zwischen ihnen zu
Streitigkeiten.
Miriam Georg ist mit „Im Nordwind“ ein fesselnder erster
Band ihrer Dilogie gelungen, der ausgezeichnet zu unterhalten versteht und
durchgehend mit dem Schicksal der Protagonistin Alice und den Geschehnissen in
der Familie einer fiktiven großen Unternehmensdynastie berührt. Dafür spreche
ich sehr gerne eine Leseempfehlung aus und erwarte nun nach dem Cliffhanger am
Ende des Buchs ungeduldig die Fortsetzung.