Die Protagonistin Grace des Romans „Mitternachtsschwimmer“ von
Roisin Maguire ist genauso rau und sanft wie die See vor der Küste von
Nordirland, an der der kleine Haupthandlungsort Ballybrady liegt. Das Dorf ist
beschaulich und ähnelt dem, in dem die Autorin lebt, weswegen sie die dort
vorherrschende Atmosphäre besonders gut eingefangen hat. Auch das Cover, das
sehr schön vom Kölner Designbüro Lübbeke Naumann Thoben gestaltet wurde,
strahlt die Unruhe und Stärke der See aus. Der Titel ist haptisch durch eine
Tiefprägung im Papier spürbar und bezieht sich auf Grace, die es liebt, in der
Nacht im Meer zu schwimmen und die Ruhe zu genießen.
Die Handlung spielt im Frühjahr 2020. Grace ist 50 Jahre
alt, besitzt eine spezielle Art von Humor und ein großes Herz, das sie zu
schützen versucht. Ihr Einkommen bestreitet sie durch Quilten, dem Verkauf von
Seegras und der Vermietung ihres Elternhauses. Neben Grace spielt auch der in
Belfast lebende Evan eine Hauptrolle. Evans Ehe ist nach einem schweren Verlust
in eine Krise geraten. Um Abstand davon zu gewinnen, mietet er für eine Woche
das Cottage von Grace. Als wegen Corona auch in Nordirland ein Lockdown
verhängt wird, werden für Evan die wenigen Tage zu einem längeren Aufenthalt,
in denen er sich mit Land und Leuten näher auseinandersetzt.
Mit Grace und Evan agieren zwei interessante
Persönlichkeiten in der Geschichte, die beide an einer seelische Verletzung aus
der Vergangenheit zu tragen haben. Während die psychische Belastung von Evan
von Beginn an offen zu erkennen ist, vergräbt die Autorin die Wunden der Grace
unter deren Zurückhaltung anderen Menschen gegenüber und deren oft schroffem
Auftreten in Interaktionen. Erst nach und nach erfuhr ich als Leserin ebenso
wie Evan davon, was in ihren jungen Jahren geschehen ist. Die Begebenheiten
werden mit ausreichend Raum geschildert, den man mit eigener Fantasie ausmalen
kann.
Neben den feinfühligen Beschreibungen zu brisanten Themen,
erzählt die Autorin von den Herausforderungen des Lebens an der Küste in aller
Härte. Es ist der besondere Charme des Buchs, der einerseits tiefsinnig die
Probleme der Protagonistin und des Protagonisten aufgreift und dem andererseits
das raubeinige Auftreten von Grace und der ungezähmten Natur der Küste
entgegenstellt. Evan erfährt in der Gemeinschaft nicht nur Rückhalt, sondern
schöpft im Laufe der Zeit die Hoffnung, dass ein Neubeginn möglich ist. Eine
lebenskluge Verkäuferin und ein achtjähriger Junge, der Geborgenheit sucht,
sorgen für aufheiternde Momente und geben der Geschichte einige unerwartete
Wendungen.
Der Roman „Mitternachtsschwimmer“ von Roisin Maguire ist einfühlsam geschrieben und sorgt mit einem stimmungsvollen Setting und gut ausformulierten Figuren für ein abwechslungsreich gestalteten Lesevergnügen. Gerne empfehle ich die bezaubernde Geschichte weiter.