Für den Protagonisten Oscar des Romans „Pi mal Daumen“ von
Alina Bronsky ist Mathematik keine Angelegenheit, bei der sich entsprechend der
Redewendung des Buchtitels Ergebnisse nur ungefähr berechnen lassen. Das
Zeichen für Pi, dass in der Mathematik für das Verhältnis vom Kreisumfang zu
seinem Durchmesser steht, ähnelt dem von Doppelkirschen, weswegen auf dem Cover
eine Frau für ebensolchen Kirschen als Ohrringe illustriert ist und einen
Kirschkern ausspuckt. Diese Frau erinnerte mich beim Lesen an Moni Kosinsky, die
im Roman ebenfalls eine tragende Rolle spielt. Der Zusammenhang zwischen dem
Pi-Symbol und den Kirschen wird auch im Spruch „Come to the Math Side we have
π“ deutlich, wobei das Zeichen wörtlich genommen und dem beliebtem Cherrypie
(amerikanischer Kirschkuchen) gleichgesetzt wird.
Oscar Maria Wilhelm Graf von Ebersdorff ist ein Nerd der
Mathematik und eher als nicht neurotypisch anzusehen. Er stammt aus einer
betuchten Familie und ist bei Studienbeginn gerade mal sechszehn Jahre alt. Er
ernährt sich vegan und liebt Anime, die der Grund dafür sind, dass er seine
Haare blau färbt. Einen extremen Gegensatz zu ihm ist Moni, denn sie ist ein
Familienmensch und hat ein großes Herz für alle, die ihre Hilfe benötigen. Moni
ist 53 Jahre alt, trägt auffälligen Lippenstift und Leopardenmuster. Niemand
aus der Familie darf von ihrem Studium wissen. Oscar und Moni lernen sich am
ersten Tag des Semesters kennen und bilden fortan eine Zweckgemeinschaft.
Obwohl sie sich zu Beginn einander anders eingeschätzt haben, wissen sie ihre
Eigenarten bald gegenseitig zu schätzen.
Der Roman wird aus der Sicht von Oscar erzählt. Durch sein
zunehmendes Interesse am familiären Hintergrund von Moni konnte auch ich als
Leserin mehr über die manchmal chaotischen Zustände im Umfeld der Protagonistin
erfahren. Oscar zeichnet sich zur besseren Übersicht einen Stammbaum, der auf
den Vorsatzseiten des Buchs abgebildet ist. Während Oscar einiges an
Organisationsgeschick aufweist, punktet Moni mit ihrer Lebenserfahrung. Irritierend
fand ich die Einstellung von Monis Vater über die Intelligenz seiner Kinder,
die ich der damaligen Zeit geschuldet zuschreibe.
Die Autorin bedient einige gängige Klischees und stellt
manche Situation überspitzt dar. Aus meiner eigenen Schul- und Studienlaufbahn
konnte ich in ihren Figuren, seien es Studierende, Lehrende oder
Familienmitglieder Ähnlichkeiten zu mir bekannten Personen feststellen. Feine
Ironie zieht sich durch den ganzen Roman und bildet zu den Sorgen und Ängste
der Hauptfiguren ein Gegengewicht. Über allem steht die Botschaft, dass es nie
zu spät ist, sich Herzenswünsche zu erfüllen. Außerdem verdeutlicht die
Erzählung, dass man andere nicht unterschätzen und ihnen Talent absprechen
sollte. Das Ende fand ich zum eigenen Weiterdenken anregend.
Gewohnt leichtfüßig schreibt Alina Bronsky in ihrem Roman
„Pi mal Daumen“ über einen ungewöhnlichen Studenten des Erstsemesters
Mathematik, der zu Studienbeginn ein weibliches Pendant findet. Humorvoll und
teils übersteigert schildert sie, wie die beiden sich anfreunden, auch weil sie
sich mit ihren jeweiligen Eigenschaften ergänzen. Die Geschichte untermalt das
Statement sich zu trauen, große Träume zu haben und sie sich zu erfüllen, egal
in welchem Alter. Wenngleich in der Geschichte immer wieder mathematische
Themen angesprochen werden, ist deren Verständnis für die Botschaft der
Erzählung nicht notwendig. Daher empfehle ich den Roman uneingeschränkt weiter.