Die Finnin Iida Turpeinen hat mit „Das Wesen des Lebens“
einen ungewöhnlichen Roman geschrieben, in dem sie verdeutlicht, wie der Mensch
danach bestrebt ist, die Natur für seine Zwecke zu nutzen, dabei aber immer
wieder ausufert. Die Umschlaggestaltung fängt das Thema sehr schön ein und
spiegelt wider, dass es um Eroberungen von Land und dem Entdecken von Flora und
Fauna geht. Leitfaden der Geschichte bildet die Stellersche Seekuh, einem bis
zu acht Meter langen Tier, das seit langem ausgestorben ist.
Die Autorin lässt ihren Roman im Naturhistorischen Museum
Helsinki beginnen, denn diese Einrichtung verfügt über ein Skelett der
Stellerschen Seekuh. Dann begleitete ich sie gedanklich in das Jahr 1741, in
dem sich eine Expedition mit zwei Schiffen von Sibirien aus auf den Weg nach
Amerika begibt. An Bord ist auch der Arzt, Ethnologe und Naturforscher Georg
Wilhelm Steller. Auf der Rückreise von Alaska strandet das Schiff auf der
Beringinsel. Die Mannschaft kämpft neun Monate lang mit dem Überleben, das auch
deswegen gelingt, weil Steller eine große Seekuhart entdeckt, die er töten
lässt, erforscht, aber das wohlschmeckende Fleisch auch zur Nahrung dient.
Pelztierjäger werden sie später ausrotten, ohne dass ein Wissenschaftler sie je
wieder lebend sehen wird.
Es sind insgesamt drei Stationen der Zeitgeschichte, an
denen die Autorin mit ihrer Geschichte halt macht. Das Jahr 1859 führte mich
als Leserin an die Südostküste Alaskas, wo der finnische Gouverneur Furuhjelm
gemeinsam mit finnischen Professor von Nordheim, ein Abendessen einnimmt, bei
dem der Gouverneur seinem Gegenüber das Skelett einer Stellerschen Seekuh
verspricht. Fast einhundert Jahre später erhält der Ornithologe 1952 den
Auftrag, dass Skelett einer Seekuh im Naturkundemuseum Helsinki zu restaurieren.
Der Roman basiert auf Tatsachen. Dank sehr guter Recherche
lässt IIda Turpeinen ihre Figuren nahvollziehbar agieren, beschränkt sich aber
auf wenige Akteure, die einen größeren Platz einnehmen. Sie arbeitet heraus,
warum viele Tiere durch Jagen ausgestorben sind. Im 18. Jahrhundert glaubte man
nicht, dass das jemals passieren würde. Am Rande der Geschichte ist einiges
über den Ursprung des Lebens zu erfahren.
In jedem Abschnitt lässt Iida Turpeinen die Zeit lebendig
werden, indem sie Meinungen wiedergibt und in den gesellschaftspolitischen
Rahmen setzt. In ihrem Roman spricht sie den Forschergeist der Menschen an und
seinen Sinn für Abenteuer, der in früheren Jahrhunderten noch reichlicher
genährt wurde als heute. Die Klimakrise zeigt ebenso wie viele ausgestorbene Tierarten,
dass unser Umgang mit der Natur über viele Jahrhunderte hinweg nicht nachhaltig
ist.
Im Roman „Das Wesen des Lebens“ verknüpft Iida Turpeinen Wahrheit und Fiktion zu einer besonderen Geschichte über das Verhältnis des Menschen zur Natur und unserem Wissensdurst in diesem Zusammenhang, der nicht immer positive Auswirkungen trägt. Sie rückt beispielhaft die Stellerschen Seekuh in den Fokus, die längst ausgestorben ist, aber bei der die Faszination an Knochenfunden immer noch besteht. Sehr gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für diesen etwas eigenwilligen Roman.