Micha Lewinsky legt mit seinem belletristischen Debüt
„Sobald wir angekommen sind“ eine Komödie vor, die im Plot die beiden Themen
„Flüchten“ und „Getrennte Familie“ zusammenbringt. Das klingt nach tiefsinnigem
Hintergrund und ist es auch, wird aber vom Autor auf eine amüsante und
charmante Art und Weise dargeboten.
Der Protagonist Ben ist um die fünfzig Jahre alt und Vater
von zwei Kindern. Seine Tochter rosa ist im Teenageralter, sein Sohn Moritz
sieben Jahre jünger. Mit einer Noch-Ehefrau Marina lebt er das Nestprinzip,
während er seit längerer Zeit mit der Künstlerin Julia eine Beziehung eingegangen
ist. Der Krieg in Osteuropa beunruhigt ihn. Als es dort eines Tages zu
strittigen Einschlägen kommt, kauft Marina spontan Flugtickets. Ben scheint
geradezu erleichtert zu sein, dass die von ihm bereits lange in Betracht
kommende Flucht, zu der er sich in jüdischer Tradition verpflichtet fühlt, nun
endlich beginnt. Es bleibt ihm keine Zeit Julia zu kontaktieren, denn für ihn
steht fest, dass die Sicherheit seiner Kinder an erster Stelle steht.
Bens liebster Schriftsteller ist Stefan Zweig. An ihm nimmt
er sich ein Beispiel für eine gelungene Flucht und möchte auf seinen Spuren
wandeln. Wie sein Vorbild schaut er nicht gerne genauer hin, wenn er sich
einmal eine Vorstellung gebildet hat. Das entspricht seiner Erziehung, denn ihm
wurde beigebracht, interessant zu sein, nicht interessiert. Eigentlich nimmt
Ben sich gerne Vorbilder, jedoch nicht ohne deren Handeln vorher auf die
Goldwaage zu legen. Mit Marina war er lange auf einer Welle, bevor die Geburten
der Kinder ihre traute Zweisamkeit auf ein neues Niveau brachten. Jetzt
bewundert er, wie Julia ihre Karriere vorantreibt. Seine Eltern sind für ihn
Respektspersonen. Er ist unentschlossen, wie auch sonst häufig, um seinen
erfolgreichen, betuchten Vater um Hilfe zu bitten, weil er eventuelle
Konsequenzen fürchtet, ohne genau zu wissen, wie diese aussehen könnten.
Micha Lewinsky lässt seine Hauptfigur einige Erfahrungen
sammeln, die Ben sich rückblickend lieber erspart hätte, wodurch der Roman aber
sehr abwechslungsreich mit vielen überraschenden Wendungen gestaltet ist. Mit
seinem Kinderbuch hatte Ben großen Erfolg gehabt, aber seitdem ist ihm kein
großer Wurf mehr gelungen. Ihm ist bewusst, dass ihm der Antrieb fehlt, dennoch
gibt es immer noch Personen in seinem Umfeld, die auf ihn bauen und in der
Geschichte immer wieder Hoffnung aufkeimen lassen, dass Ben nicht verloren
geht. Beim Nachdenken über einen neuen Roman und auch bei der Flucht, ist eine
Sehnsucht in ihm zu spüren, jüdisch zu leben. Noch nie hat er sich so intensiv wie
aktuell mit seiner Religion auseinandergesetzt.
An verschiedenen Stellen spricht der Autor sehr
unterschiedliche kontroverse Sachverhalte wie beispielsweise die Klimakrise,
Erziehung und Romantik an. Micha Lewinsky hat seinem Protagonisten den gleichen
Beruf wie er selbst ihn ausübt als Schriftsteller und Drehbuchautor gegeben.
Die Darstellung der Karriere seines Protagonisten mit Höhen und Tiefen, immer
auf Erfolg hoffend und doch einem Misslingen ständig nah, ist realistisch und
nachvollziehbar.
Der Roman „Sobald wir angekommen sind“ von Micha Lewinsky zeigt
mit seiner Hauptfigur, wie eine angespannte Weltlage zu Verunsicherung führen kann.
Mit amüsantem Unterton beschreibt er, wie der Autor und Schriftsteller Ben
durchs Leben taumelt, bis er einige Erkenntnisse durch seine Flucht gewinnt,
die sein Selbstvertrauen stärken. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.