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Sonntag, 27. Oktober 2024

Rezension: Das dünne Pferd von Stefanie vor Schulte

Das dünne Pferd
Autorin: Stefanie vor Schulte
Hardcover: 256 Seiten
Erschienen am 21. August 2024

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Die Pflegekraft Aria macht sich gemeinsam mit ihrer Kollegin Marion und fünfzehn Kindern, die von ihren Eltern vergessen wurden, auf den Weg ans Meer. Dort haben sie ein ehemaliges Hotel gekauft, in dem sie unterkommen wollen. Die Welt steht am Abgrund und niemand weiß, wie und wie lange es weitergehen wird. In Einstadt angekommen werden die Frauen und Kindern von den ortsansässigen Cowboys mit Argwohn beäugt. Lediglich Jenny, die Schwester ihres Anführers, kann eine Eskalation der Situation verhindern. Als Marion an einem schwer zugänglichen Strandabschnitt in der Nähe des Hotels ein dünnes Pferd entdeckt, ist sie gewillt, dieses zu retten. Doch dazu benötigt sie Unterstützung – wird sie die Einstädter überzeugen können, ihr zu helfen?

Als Leserin wurde ich auf den ersten Seiten ohne große Erklärungen gleich mitten ins Geschehen hineingeworfen und begleitete Aria, Marion und die Kinder bei ihrem Weg aus der Klinik ans Meer. Schnell merkte ich, dass ich mich in einem dystopischen Szenario wiederfand, wobei nicht genau erklärt wird, was eigentlich geschehen ist. Die Welt scheint am Abgrund zu stehen und Aria ist fest entschlossen, die Kinder und später auch das Pferd zu retten und zu beschützen, solange es geht.

Im Interview hat die Autorin berichtet, sich an Bildern entlangzuschreiben, die sie vor sich sieht. Diese Herangehensweise ist beim Lesen des Romans zu spüren. Sie schafft mit ihren Worten kraftvolle und lebendige Szenen, die im Kopf bleiben. Zwischen diesen gibt es unterschiedlich große Zeitsprünge, der Fokus liegt mehr darauf, einzelne starke Momente einzufangen als den Leser durch den Fluss an Ereignissen zu führen. Mich hat Stefanie vor Schulte mit dieser Erzählweise sehr gut abholen können.

Aria ist eine Person, die über viel mentale Stärke und einen unbeugsamen Willen verfügt. Was sie sich einmal in den Kopf gesetzt hat möchte sie auch erreichen. Sie hat die Kinder ans Meer gebracht, und nun möchte sie auch das Pferd retten, obwohl wenn sie dafür viel Unverständnis erntet. Kurze Rückblicke geben einen Einblick in prägende Momente ihrer Jugend und machen noch verständlicher, warum sie gewisse Entscheidungen trifft. Auch die weiteren Frauenfiguren im Buch sind interessant und anpackend und nicht bereit, sich dem Willen der Männer zu beugen. Ich habe sie gerne auf einer Suche nach einem Platz in der untergehenden Welt begleitet. Mir hat dieser aufs Wesentliche beschränkte Roman, der bewusst nicht alles erklärt, sondern einzelne starke Bilder schafft, die nachhallen, sehr gut gefallen.

Freitag, 25. Oktober 2024

Rezension: Sing, wilder Vogel, sing von Jacqueline O'Mahony

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Sing, wilder Vogel, sing
Autorin: Jacqueline O'Mahony
Übersetzung aus dem irischen Englisch: pociao und Roberto de Hollanda 
Erscheinungsdatum: 25.09.2024
rezensierte Buchausgabe: Leseexemplar
ISBN des Hardcovers: 9783257073096
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In ihrem historischen Roman „Sing, wilder Vogel, sing“ erzählt Jacqueline O`Mahony von der Irin Honora, die sich nach Freiheit von allen Zwängen sehnt, die sie persönlich einengen. Dabei versucht sie, ihre Identität zu bewahren. Die Protagonistin lebt im Jahr 1849 an der irischen Westküste. Land und Unterkünfte sind dort von englischen Gutsherren gepachtet. Wer nicht rechtzeitig zahlt, dem wird der Besitz weggenommen. Am Tag von Honoras Geburt ist ein Rotkehlchen ins Zimmer geflogen, was im Dorf als Fluch gilt, der nun auf ihr liegt.  William zu heiraten, den Sohn eines im Dorf angesehenen Bürgers, erscheint ihr als glücklicher Umstand. Doch eine Hungersnot nimmt ihr all das, für welches es sich bisher für sie zu leben lohnte. Aus der prekären Lage heraus entwickelt sie einen Plan, mit einem Schiff von der drei bis vier Tagesmärsche entfernten Hafenstadt Westport nach New York zu fahren. Er gelingt und zunächst fühlt sie sich freier, bis die Realität sie einholt und sie das Schicksal erneut hart trifft. Ihr wird bewusst, dass sie noch nicht am Ende ihrer Reise angelangt ist.

Die Geschichte beginnt mit einem Prolog, in dem Honora sich fünf Jahre nach ihrem Aufbruch in Irland im Westen der USA befindet. Von einem Mann erhält sie Avancen. Erst später konnte ich die Szene richtig zuordnen. Vorerst gab mir die Szene das Wissen darum, dass die Protagonistin die furchtbaren Geschehnisse in Irland überlebt hat, die die Autorin im Folgenden schildert. Der Roman beruht auf wahren Begebenheiten. Sie sind unter dem Begriff „Doolough Famine Walk“ in die Geschichtsbücher eingegangen.

Honora hat früh gelernt, sich um sich selbst zu kümmern, weil ihre Mutter bei ihrer Geburt gestorben ist. Die Arbeit ist schwer und ihr Körper vom Hunger ausgezehrt. Doch ohne zurückzublicken lebt sie für den Augenblick, ohne sich beirren zu lassen. Sie weiß, dass viele der Dorfbewohner sie für seltsam halten, aber gerade ihre Beharrlichkeit, ihre Wut gegen Ungleichbehandlung und ihr Wildheit, die sie in die Natur zieht, geben ihr die Kraft bis an die Grenze des Erträglichen zu gehen.

Jacqueline O*Mahony thematisiert in ihrem Roman den Kampf der Protagonistin gegen die ihr auferlegten Zwänge, die nicht nur durch Gesetze, sondern auch durch Konventionen gegeben sind. Es ist tiefbewegend, davon zu lesen, wie gering die englischen Landlords das Leben ihrer Untergebenen schätzen. In Amerika, dem Land der von Honora erhofften unbegrenzten Möglichkeiten, erkennt sie schnell, dass der von ihr ersehnten Freiheit durch ihre Armut Grenzen gesetzt sind und sie dadurch bald zum Spielball in den Händen ihrer Vorgesetzten wird. Später wird sie durch Androhungen eingeschränkt. Sie strebt nicht nur danach, im eigenen Ermessen gehen zu können, wohin immer sie will, sondern sie wünscht sich auch, dass ihre inneren Werte von anderen erkannt werden.

„Sing, wilder Vogel, sing“ ist ein Roman voller Drama, aber mit dem Flair des Abenteuers. Die irische Autorin Jacqueline O*Mahony schreibt berührend und aufwühlend. Sie bleibt nah am Charakter ihrer Protagonistin, die mit Hartnäckigkeit und Hoffnung im Herzen nach Eigenständigkeit im Leben sucht und sich dabei weiterentwickelt. Sehr gerne empfehle ich das Buch weiter.


Donnerstag, 17. Oktober 2024

Leseempfehlung: Beklaute Frauen von Leonie Schöler


Leseempfehlung von Ingrid Eßer

Titel: Beklaute Frauen 
Denkerinnen, Forscherinnen, Pionierinnen: Die unsichtbaren Heldinnen der Geschichte
Autorin: Leonie Schöler
Erscheinungsdatum:  28.02.2024
Verlag: Penguin
ISBN: 9783328603239

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In ihrem Buch „Beklaute Frauen“ schreibt Leonie Schöler über unsichtbare Heldinnen der Geschichte in verschiedensten Bereichen. Dabei bezieht sie gelegentlich auch andere benachteiligte Personengruppen mit ein. Sie hat mich mit ihrer Darstellung der Fakten beeindruckt. Ich mochte ihren Schreibstil, der flüssig lesbar ist. Sie versteht es, am Beginn der Kapitel Einleitungen zu schreiben, die mich neugierig machten und schafft dadurch eine fast spielerische Wissensvermittlung. Natürlich hatte ich bereits gelegentlich von benachteiligten Frauen in unserer Geschichte gelesen, aber die ausgewählten Beispiele im Buch ließen mich immer wieder staunen.

Auf über vierzig Seiten finden sich im Anhang Anmerkungen mit Belegen zu den Beschreibungen der Geschehnisse. Leonie Schöler wählt Frauen der Geschichte aus, die berühmte Ehemänner, Väter oder Kollegen haben. Die Einstellungen dieser prominenten Männer zu Frauen stimmte mich nachdenklich. Es sind Wissenschaftlerinnen, Künstlerinnen und Kämpferinnen, die im Schatten von Männern standen, die wie selbstverständlich für ihre eigenen Leistungen Ruhm und Ehre erwarteten. Die Auswahl konnte nur beispielhaft erfolgen, denn die Liste der beklauten Frauen in der Geschichte der letzten 200 Jahre, auf der die Betrachtungen im Buch fokussieren, würde den Rahmen des Buchs sprengen. Im letzten Kapitel beschreibt die Autorin, dass Künstliche Intelligenzen geschlechtsspezifische Vorurteile haben. Das Problem ist bekannt, aber bei der Entwicklung gegen diesen Trend hapert es immer noch. Ich empfehle die faszinierende Lektüre uneingeschränkt weiter.


Montag, 14. Oktober 2024

Rezension: Die Froschprinzessin - Märchen aus aller Welt kuratiert und kommentiert von Cornelia Funke

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Die Froschprinzessin - Märchen aus aller Welt
kuratiert und kommentiert von Cornelia Funke
illustriert von Julia Plath
übersetzt von Tobias Schnettler
Erscheinungsdatum: 25.09.2024
Verlag: Fischer Sauerländer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover
ISBN: 9783737372633

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Das Buch „Die Froschprinzessin“ aus dem Verlag Fischer Sauerländer beinhaltet eine Sammlung von Märchen aus aller Welt. Die bekannte deutsche Kinder- und Jugendbuchautorin Cornelia Funke hat die Geschichten kuratiert. Mit beeindruckenden Farbillustrationen wurden sie von Julia Plath versehen, die beim Projekt für Künstler:innen von Cornelia Funke zu den Resident:innen in der Toskana gehört.

Der vorliegende Band von nicht ganz 200 Seiten umfasst Erzählungen aus verschiedenen Kulturkreisen, die nicht nur für Jugendliche, sondern auch für Erwachsene interessant sind. Neben einigen aus Europa, sind Erzählungen aus Russland, Vietnam und Japan vertreten. Die Konzeptionistin verweist in einem Kommentar darauf, dass asiatische Märchen nicht wie fast jedes westliche mit einem Erfolg endet, was an den unterschiedlichen sozialen Konventionen liegt.

Obwohl Cornelia Funke im Vorwort bekennt, dass sie keine Anhängerin von Märchen ist, besitzt sie eine umfassende Sammlung. Die Erzählungen sind bereits 2018 in englischer Sprache erschienen. In ihren Kommentaren zu den jeweiligen Geschichten stellt die Kuratorin mehrfach Bezug zu ihrem Roman „Reckless“ her, für den sie ebenfalls viele Märchen gelesen hat.

Bei ihrer Auswahl der insgesamt dreizehn Märchen hat Cornelia Funke nach solchen gesucht, die ihr eher unbekannt erschienen und deren Held oder Heldin ihr rebellischer vorkam als in anderen Erzählungen, die hauptsächlich die Werte patriarchaler Gesellschaften zu festigen versuchen. Die im Buch befindlichen lösen sich aus dieser Tradition nicht vollständig. Letztlich hat aber die Neugier der Kuratorin und der Zufall Feder geführt bei der Zusammenstellung der Sammlung.

Von den Geschichten im Buch „Die Froschprinzessin“ kannte ich mit „Die sechs Schwäne“ nur eins, von den anderen habe ich mich gerne mystisch umgarnen und auf Abenteuer mitnehmen lassen. Nach dem Vorwort von Cornelia Funke muss ich jedoch zugeben, dass ich mit noch mehr aufsässigen Figuren und heldenhaften Frauen gerechnet hätte. Der Band ist prächtig illustriert und eignet sich auch als Geschenk für Märchenfans.

Sonntag, 13. Oktober 2024

Rezension: Wohnverwandtschaften von Isabel Bogdan


Wohnverwandtschaften
Autorin: Isabel Bogdahn
Hardcover: 272 Seiten
Erschienen am 10. Oktober 2024
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Link zur Buchseite des Verlags

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Nach der Trennung von ihrem Freund sucht die Zahnärztin Constanze schnellstmöglich eine neue Bleibe in Hamburg und zieht in die WG von Anke, Murat und Jörg. Was als kurze Zwischenstation gedacht war, wird schnell zu ihrer neuen Heimat, denn sie harmoniert gut mit ihren Mitbewohner:innen. Anke ist eine arbeitslose Schauspielerin, die an einstige Erfolge schon länger nicht mehr anknüpfen kann, weil sie vermutlich aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters keine Rollen mehr erhält. Murat ist ein Genussmensch, der gern für die WG kocht und Zeit in seinem Garten verbringt. Jörg ist Ende 60 und der Eigentümer der Wohnung. Er plant, in Kürze mit seinem Bulli nach Georgien zu reisen. Doch dann wird er immer vergesslicher, was die WG vor einige Herausforderungen stellt und gleichzeitig noch enger zusammenschweißt.

Der Roman erstreckt sich über eine Zeitspanne von zwei Jahren und ist abwechselnd aus der Sicht der vier WG-Bewohner:innen geschildert. Dabei sind einige Kapitel aus der Perspektive des jeweiligen Charakters geschildert, bei anderen handelt es sich um Dialoge. So erhielt ich gute Einblicke sowohl in die Leben der einzelnen Personen als auch in ihr Miteinander in der WG. Auch wenn es hier und da mal Unstimmigkeiten gibt oder Eifersucht ins Spiel kommt, harmonieren die vier insgesamt doch sehr gut miteinander. Sie sind füreinander eine selbstgewählte Familie, weshalb ich den Titel „Wohnverwandtschaften“ sehr passend finde. Ich fand es schön, sie durch die Höhen und Tiefen des Alltags zu begleiten. Das Tempo ist dabei angenehm zügig, die Kapitel sind kurz und danach gibt es jeweils einen Zeitsprung von einer bis zu mehreren Wochen.

Jörgs Vergesslichkeit wird im Laufe der Monate immer schlimmer und bald müssen sich die anderen eingestehen, dass es sich hier um eine Krankheit handelt. Sie gehen sehr unterschiedlich damit um, doch für alle ist klar, dass sie ihn nicht im Stich lassen. Ich fand es interessant, wie das Thema unbezahlte Care-Arbeit hier behandelt wird. Beispielsweise übernimmt am Anfang Anke ungefragt den Großteil der Arbeit. Sie fühlt sich in besonderen Maße zuständig, da sie vorübergehend keine Miete zahlt. Erst in einer Aussprache reflektieren die Drei die Aufteilung der Aufgaben. Die meiste Zeit offenkundig abwesend ist Jörg Sohn, der sich irgendwann auch finanziell um das Thema Pflege kümmern muss, sich aber aus der Angelegenheit heraushält, solange die WG alles organisiert bekommt. Für mich ich „Wohnverwandtschaften“ ein emotionaler und warmherziger Roman über Freundschaft und Zusammenhalt, den ich sehr gerne weiterempfehle.

Freitag, 11. Oktober 2024

Rezension: Ich komme nicht zurück von Rasha Khayat

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Ich komme nicht zurück
Autorin: Rasha Khayat
Erscheinungsdatum: 13.08.2024
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN. 9783832168124
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Im ihrem Roman „Ich komme nicht zurück“ erzählt Rasha Khayat von gewählten Familienmitgliedern und einer tiefen Freundschaft zwischen den Hauptfiguren Hanna, Cem und Zeyna. Der Titel des Buchs lässt von Beginn an vermuten, dass die enge Verbindung der drei gestört wird.

Hanna lebt Ende der 1980er Jahre bei ihren Großeltern in einer Zechensiedlung am Rand einer großen Stadt im Ruhrgebiet. Cems Eltern, die in der Türkei geboren wurden, besitzen dort einen Lebensmittelhandel, weswegen er gerne bei Hanna zu Gast ist. Als die gleichaltrige Zeyna mit ihrem Vater aus dem Libanon in den Kohlenpott zieht, entwickelt sich eine wunderbare Freundschaft. Nicht nur Hanna und Cem kümmern sich um die beiden Geflüchteten, sondern auch Hannas Großeltern ummanteln sie mit ihrer Zuneigung, was vor allem Zeyna zugutekommt, die ihre Mutter verloren hat.

Die Freundschaft erhält in der Zeit nach den Terroranschlägen des Jahres 2001 Risse, weil Zeyna und Cem aufgrund ihres dunklen Teints Hass und Wut zu spüren bekommen, oft von Personen die sie gar nicht kennen. Hanna und ihre Großeltern haben immer mit Interesse die kulturellen Unterschiede ihrer Freunde wahrgenommen und sich im großen Kreis als Gemeinschaft gefühlt. Doch ihre Freundlichkeit kann die zunehmend aggressive Stimmung im Umfeld nicht stoppen.

Nach dem Tod der Großeltern zieht Hanna, die jahrelang in einer anderen Stadt gelebt hat, zurück in deren Wohnung in der inzwischen in die Jahre gekommenen Siedlung. Während die Erinnerungen sie zu erdrücken scheinen, versucht sie, die Freundschaft zu Cem und Zeyna wieder aufzunehmen. Von Beginn an liegt über allem ein großes Fragezeichen, denn damals ist etwas geschehen, dass einen Bruch zwischen Hanna und ihrer Freundin bewirkt hat. Deutlich spürbar ist die Einsamkeit der Protagonistin, die nicht nur mit Verlusten klarkommen muss, sondern auch mit den Einschränkungen der Pandemie.

Der Sprachstil von Rasha Khayat trifft ohne Ausschweifungen den Kern der aufgeworfenen Probleme auf den Punkt und ist gerade dadurch tief berührend. Hanna verhält sich in ihrer Traurigkeit nachvollziehbar. Die Autorin kennt das Umfeld einer Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet aus eigener Erfahrung. Sie hat einige Jahre in Arabien gewohnt, auch weil ihr Vater von dort gebürtig ist, und sicherlich die aufgeheizte Gemütslage ab den ersten Jahres des neuen Jahrtausends selbst erlebt. Diese beiden Welten vereinen sich in ihrem Roman und verleihen ihm eine starke Authentizität.

„Ich kehre nie zurück“ ist eine Geschichte über Freundschaft, Wahlverwandtschaften, Trauer und Einsamkeit, bringt aber einen eine gehörige Portion Hoffnung mit sich, dass sich einiges zum Guten wenden lässt. Sehr gerne empfehle ich das Buch weiter.


Mittwoch, 9. Oktober 2024

Rezension: Von Angesicht zu Angesicht von Dominik Eulberg, Thomas Hörren und Thorben Danke

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Von Angesicht zu Angesicht - auf Augenhöhe mit heimischen Insekten
Fotos: Thorben Danke
wissenschaftliche Erklärungen: Thomas Hörren
zusammengestellt von: Dominik Eulberg
Erscheinungsdatum: 23.09.2024
Verlag: Kosmos (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte  Buchausgabe: Hardcover
ISBN: 9783440179000
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Für den Prachtband „Von Angesicht zu Angesicht“ haben der Insektenforscher Thomas Hörren und der Makrofotograf Thorben Danke zusammengearbeitet und mit Dominik Eulberg einen Künstler und Autor mit hinzugenommen, der es bestens verstanden hat, die Fotografien und Kenntnisse zur Vermittlung an den Lesenden zusammenzustellen. Die Bilder im Buch zeigen die Insekten in vollem Glanz getreu dem Motto, dass sie auf Augenhöhe gezeigt, was auch dem Untertitel entspricht. Dabei hat Thorben Danke eine besondere aufwändige Aufnahmetechnik verwendet. Für das Buchprojekt wurde kein Tier getötet, sondern lebende Insekten abgelichtet oder auf Exemplare aus Sammlungen zurückgegriffen.

Nachdem zunächst erklärt wird, wie viele Insekten es auf der Welt gibt, wird eine Begriffsbestimmung und eine Klassifizierung vorgenommen. Untermalt werden die Erklärungen mit Abbildungen. Es existieren insgesamt dreißig Insektenordnungen, von denen vier einen Anteil von fast 90 Prozent ausmachen. Die Hauptgruppen Käfer, Schmetterlinge, Zweiflügler und Hautflügler stehen im Buch im Fokus, ergänzt um die Ordnung der Schnabelkerfe und der Libellen. Zu jeder Ordnung werden typische Merkmale beschrieben anhand derer sie zu klassifizieren sind. Außerdem erfährt man etwas über die Lebensweise der Insekten. Die Texte sind ansprechend verfasst und leicht verständlich.

Die Fotos zeigen die Insekten mal in voller Größe, mal nur ein Detail. Dabei werden Einzelheiten sichtbar, die mit bloßem Auge kaum zu erkennen sind. Im angehängten Glossar sind die wichtigsten Begriffe kurz erläutert. Dahinter findet sich ein Verzeichnis mit weitergehender Fachliteratur und Anmerkungen zur Aufnahmetechnik.

Mir haben es nicht nur die grandiosen Fotos angetan, sondern auch die exakte Bezeichnung dessen, was darauf zu sehen ist. „Von Angesicht zu Angesicht“ ist nicht nur ein Buch mit hohem Informationsgehalt, dass man immer wieder mal gerne zur Hand nimmt, sondern eignet sich auch sehr gut dazu, anderen damit eine Freude zu bereiten.


Sonntag, 6. Oktober 2024

Rezension: Was ist schon für immer von Katja Lewina

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Was ist schon für immer - Vom Leben mit der Endlichkeit
Autorin: Katja Lewina
Erscheinungsdatum: 13.08.2024
Verlag: Dumont
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783755800071
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„Was ist schon für immer“ fragt Katja Lewina in ihrem gleichnamigen Buch und setzt sich darin mit dem Leben auseinander, das vom Tod beschränkt wird. Es ist noch gar nicht lange her, dass die Autorin persönlich eine schwierige Zeit erlebt hat. Zuerst verlor sie plötzlich ihren kleinen Sohn und bald darauf erfuhr sie von einer tödlichen Erbkrankheit mit der sie sich nun täglich arrangiert. Seit ihr das Ende des Lebens bewusst ist, versteht sie, warum dieser Fakt so beängstigend für uns Menschen ist, denn uns ist die Kontrolle darüber entzogen.

Das Buch ist keine deprimierende Abhandlung über das Sterben, sondern ein Plädoyer für das Leben, wobei es Katja Lewina auf die Qualität ankommt, mit der man seinen Tag füllen sollte. Es ist die Art von Beziehungen, die man pflegt, die einem Halt geben und aus deren Quelle man in schwierigen Zeiten schöpfen kann, um Zuwendung, Vertrauen und Liebe zu erhalten.

Die Autorin befasst sich zwar ernsthaft mit unserem Ableben, verleiht aber ihren Ausführungen darüber Leichtigkeit. Die Themen sind recht unterschiedlich. Sie setzt sich auseinander mit den Gefühlen der Hinterbliebenen genauso wie mit dem Trend, sich seine Jugendlichkeit äußerlich zu erhalten. Im Falle von Testament und Patientenverfügung rät sie dazu, sich rechtzeitig damit auseinander zu setzen.

Mich hat Katja Lewina vor allem durch ihre Offenheit mit ihrem eigenen Schicksal beeindruckt und ihre Kraft, nicht aufzugeben. Wer sich wie die Autorin mit der Endlichkeit auseinandersetzt, begreift, warum das Leben lebenswert ist. Darum sollte man dieses Buch lesen.

Donnerstag, 3. Oktober 2024

Rezension: Fate of the Sun King - Die Artefakte von Ouranos 3 von Nisha J. Tuli


Fate of the Sun King - Die Artefakte von Ouranos 3
Autorin: Nisha J. Tuli
Übersetzerin: Paula Telge
Broschiert: 512 Seiten
Erschienen am 2. September 2024

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Der dritte Band der Reihe rund um die Artefakte von Ouranos beginnt wenige Tage nach den Ereignissen des vorherigen Bandes. Nachdem Lor entschieden hat, dass sie zurück nach Aphelion muss, ist sie mit ihrer Reisegruppe nun dort eingetroffen. Das Ziel ist es, zum Spiegel zurückzukehren. Doch noch fehlt es an einem Plan, wie sie sich unbemerkt in den Thronsaal von Atlas schleichen soll. Es dauert nicht lang, bis sie in der Umbra Gabriel über den Weg läuft. Zum Glück hat er kein Interesse daran, sie an Atlas zu verraten. Vielleicht kann er ihr sogar helfen? Doch Gabriels Spielraum ist eng: Er wird durch Magie gezwungen, Atlas zu gehorchen, was ihn schon jahrelang davon abhält, dessen dunkelstes Geheimnis zu verraten…

Ich habe mich sehr über die Rückkehr nach Aphelion und das Wiedersehen mit Charakteren, die Lor dort im ersten Band zurückgelassen hat, gefreut. Die Geschwindigkeit, mit sie dort auf alte Bekannte trifft, ist erstaunlich hoch. Für mich aber kein Grund zur Beschwerde: Nachdem mir das Tempo im zweiten Teil oftmals zu langsam war, hat es nun wieder deutlich angezogen und pendelt sich in diesem Buch auf einem guten Niveau ein. Ich war gespannt, welche neuen Pläne Lor gemeinsam mit ihren Geschwistern sowie Nadir und dessen Freunden schmieden wird.

Nachdem im letzten Band enthüllt wurde, was vor der Zerstörung des Königinnenreichs Herz wirklich geschehen ist, springen die Rückblicke diesmal noch weiter in der Zeit zurück und nahmen mich mit ins erste Zeitalter von Ouranos. Auch damals liefen die Dinge auf dem Kontinent allmählich aus dem Ruder und ich erfuhr mehr über den Ursprung der Artefakte. Mich erwarteten in diesen Rückblicken einige Überraschungen. Auch in der Gegenwart bringt das Geheimnis von Atlas, in das ich dank der Kapitel aus der Perspektive von Gabriel eingeweiht wurde, neue Brisanz ins Geschehen.

Schon in der Widmung ganz vorn im Buch verrät die Autorin, dass sie es Lor und Nadir in diesem Band endlich tun lässt. Die beiden erhalten viele Gelegenheiten, Zeit miteinander zu verbringen und ihre Gefühle füreinander intensiver zu erkunden. Nach dem ganzen Hin und Her finden sie endlich eine gemeinsame Basis und es kommt zu mehr als einer Szene mit ordentlich Spice. Und auch was ihre Beziehung angeht wird ein weiteres Geheimnis gelüftet, das Fluch und Segen zugleich zu sein scheint. Wer die ersten beiden Bände der Artefakte von Ouranos mochte, für den ist „Fate of the Sun King“ Pflicht. Ich bin nun mächtig gespannt auf den vierten und abschließenden Band der Reihe!


Mittwoch, 2. Oktober 2024

Rezension: Tee für die Geister von Chris Vuklisevic

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Tee für die Geister
Autorin: Chris Vuklisevic
Übersetzerin aus dem Französischen: Maria Hoffmann-Dartevelle
Erscheinungsdatum: 11.09.2024
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783758700019
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Das Buch „Tee für die Geister“ ist ein Roman des magischen Realismus, in dem die französische Autorin Chris Vuklisevic ihrer Fantasie freien Lauf lässt. Den Hintergrund der Geschichte bilden besondere Arten von Tee, die beim Genießenden unterschiedliche Wirkungen zeigen. Bis hin zur Teekanne sind die Beschreibungen magisch untermalt. Die Autorin lässt einen Hersteller von phantofassbaren Gegenständen erzählen, der die Begebenheiten aus erster Hand erfahren hat und sich manchmal auch direkt an den Lesenden wendet.

Felicité und Egonia sind Schwestern. Sie wurden kurz nach dem Tod ihres Vaters in seiner Schäferhütte nach unüblich vielen Schwangerschaftsmonaten geboren. Ihre Mutter Carmine kümmert sich von Beginn an mehr um Felicité, der Älteren, die später das Gymnasium in Nizza besucht und sich zur Teeologin entwickelt sowie zur Geisterschleuserin. Die vernachlässigte Egonia, deren Worte das Verderben mit sich bringen, zieht sich in die Wälder der Provence zurück. Dreißig Jahre lang haben die Schwestern keinen Kontakt, doch nachdem Felicité vom Tod ihrer Mutter erfährt, gibt sie die Information mittels eines Teesatzes an Egonia weiter, die daraufhin anreist. Gemeinsam machen die Geschwister sich auf die Suche danach, was ihre Mutter ihnen in ihren letzten Momenten mitteilen wollte. Dabei hoffen sie, ihre Fragen über die Herkunft der Mutter und ihrer zeitweiligen Abwesenheiten zu klären. Die gesamte Story ist sehr vielschichtig.

Immer wieder kehrt die Erzählung handlungsmäßig zurück in die Kindheit der beiden Schwestern. Die Autorin arbeitet mit gerne mit Gegensätzen wie Gut und Böse oder Blühen und Verderben. Die Magie spielt insgesamt eine große Rolle und es ist schwierig, dagegen aufzubegehren. Letztlich zeigt sich, dass es möglich ist, sie sich zunutze zu machen. Es gibt kaum Gerechtigkeit und vor allem bei den Geschwistern ist dies deutlich zu spüren, denn bereits ihre Mutter hat bei ihrer Erziehung unterschiedliche Maßstäbe angelegt, zu denen keine Gründe erkennbar sind. Die Geschichte ist komplex und treibt ständig neue fantastische Gedanken aus, die sich ineinander verwickeln oder auseinanderlaufen.

Die Suche nach der Vergangenheit führt die beiden Frauen bis nach Andalusien. Auf der Reise der Schwestern entstehen jedes Mal Orte mit einzigartiger Atmosphäre, die gut vorstellbar ist. Obwohl die Differenzen in der Beziehung der Schwestern manchmal kaum heilbar erscheinen, bringt Autorin die Geschichte zu einem versöhnlichen Abschluss.

Die literarische Fantasy „Tee für die Geister“ von Chris Vuklisevic ist eine düstere Geschichte voller ungewöhnlicher magischer Elemente mit ausschweifenden Beschreibungen. Wer mystische Erzählungen mag, dem wird der Roman gefallen. 


Dienstag, 1. Oktober 2024

Rezension: In der Erde - Ein Fall für Lilly Hed von Pernilla Ericson

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: In der Erde - Ein Fall für Lilly Hed
Autorin: Pernilla Ericson
Übersetzerin aus dem Schwedischen: Friederike Buchinger
Erscheinungsdatum: 28.08.2024
Verlag: Fischer Scherz (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur
ISBN: 9783651001312
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Im dritten Kriminalfall für die schwedische Ermittlerin Lilly Hed geht es im Buch „In der Erde“ von Pernilla Ericson um die Ursache für zunächst eine, später dann einer zweiten Explosion eines Wohnhauses. Nachdem die Kommissarin in den vorigen Bänden bereits gegen Feuer und ein Unwetter angekämpft hat, muss sie sich nun mit der anhaltenden Trockenheit auseinandersetzen. Die Landwirte protestieren inzwischen mit Traktorenblockaden. Lilly, die im sechsten Monat schwanger ist, hat mit der Hitze zu kämpfen, aber noch mehr macht ihr die immer wiederkehrende Übelkeit mit Erbrechen zu schaffen. Ihr Partner, Vater ihres Kindes, ist als Feuerwehrmann ständig im Einsatz.

Lilly besetzt eine geteilte Stelle. Einerseits fährt sie im Streifendienst, andererseits ist sie an Ermittlungen im Kommissariat beteiligt. Nachdem sie ihren früheren Freund wegen seinen Übergriffen angezeigt hat, wartet sie nun auf das Verfahren gegen ihn und rechnet ständig damit, dass er Mittel und Wege findet, sich an ihr zu rächen. Sie wird als leitende Ermittlerin eingesetzt, als ein Haus in die Luft fliegt und ein Ehepaar und dessen Tochter dabei getötet werden. Bald scheint es jedoch so, als ob das Kind entführt wurde und noch lebt. Es wird für Lilly zu einer Herausforderung, den Tathinweisen zu folgen, während sie versucht, sich so zu verhalten, dass es ihrem Nachwuchs gut geht.

Wieder einmal gelingt Pernilla Ericson die Darstellung der extremen Wetterlage, indem ihre Figuren sie auch wahrnehmen, aber ihr nichts entgegenzusetzen haben. Dadurch wird deutlich, dass die Folgen des Klimawandels nicht kurzfristig beseitigt werden können. Die Autorin schreibt detailgenau. Als Leserin hatte ich einen Vorsprung zu Lillys Ermittlungen, denn die Kapitel springen immer wieder zum Täter und seinem Opfer. Obwohl die Identität des Tatverdächtigen auch mir lange verborgen blieb, wusste ich im Gegensatz zur Kommissar über den Gesundheitszustand des Mädchens Bescheid. Die Ermittlungen werden dadurch erschwert, dass zunächst kein Motiv erkennbar ist. Darum stehen zunächst mehrere Figuren im Verdacht.

Lilly und ihre KollegInnen geraten unter Zeitdruck, als der Entführer Bedingungen mit einer Frist setzt. Er droht damit, nach deren Ablauf kein Trinkwasser mehr zur Verfügung zu stellen. Irgendwann fordert auch die Gesundheit von Lilly und ihrem Kind den Vorrang, doch wer die Kommissarin in ihren bisherigen Fällen erlebt hat, weiß, dass aufgeben für sie keine Option ist.

Auch die Handlung des dritten Bands der „Vier-Elemente-Kriminalreihe“ von Pernilla Ericson „In der Erde“ ist wie bei den ersten beiden Teilen komplex und gut strukturiert. Die Autorin baut von Beginn an Spannung auf und hält sie bis zum Schluss. Auf Nebenschauplätzen hat die Protagonistin sich mit den Folgen des Klimawandels auseinanderzusetzen, mit häuslicher Gewalt und sozialen Ungerechtigkeiten. Die Reihe glänzt mit authentischen Settings und glaubwürdigen Abläufen. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung und freue mich auf den abschließenden Band.