Rezension von Ingrid Eßer
In ihrem historischen Roman „Sing, wilder Vogel, sing“
erzählt Jacqueline O`Mahony von der Irin Honora, die sich nach Freiheit von
allen Zwängen sehnt, die sie persönlich einengen. Dabei versucht sie, ihre
Identität zu bewahren. Die Protagonistin lebt im Jahr 1849 an der irischen
Westküste. Land und Unterkünfte sind dort von englischen Gutsherren gepachtet.
Wer nicht rechtzeitig zahlt, dem wird der Besitz weggenommen. Am Tag von Honoras
Geburt ist ein Rotkehlchen ins Zimmer geflogen, was im Dorf als Fluch gilt, der
nun auf ihr liegt. William zu heiraten, den
Sohn eines im Dorf angesehenen Bürgers, erscheint ihr als glücklicher Umstand. Doch
eine Hungersnot nimmt ihr all das, für welches es sich bisher für sie zu leben lohnte.
Aus der prekären Lage heraus entwickelt sie einen Plan, mit einem Schiff von
der drei bis vier Tagesmärsche entfernten Hafenstadt Westport nach New York zu fahren.
Er gelingt und zunächst fühlt sie sich freier, bis die Realität sie einholt und
sie das Schicksal erneut hart trifft. Ihr wird bewusst, dass sie noch nicht am
Ende ihrer Reise angelangt ist.
Die Geschichte beginnt mit einem Prolog, in dem Honora sich
fünf Jahre nach ihrem Aufbruch in Irland im Westen der USA befindet. Von einem
Mann erhält sie Avancen. Erst später konnte ich die Szene richtig zuordnen.
Vorerst gab mir die Szene das Wissen darum, dass die Protagonistin die
furchtbaren Geschehnisse in Irland überlebt hat, die die Autorin im Folgenden
schildert. Der Roman beruht auf wahren Begebenheiten. Sie sind unter dem
Begriff „Doolough Famine Walk“ in die Geschichtsbücher eingegangen.
Honora hat früh gelernt, sich um sich selbst zu kümmern,
weil ihre Mutter bei ihrer Geburt gestorben ist. Die Arbeit ist schwer und ihr
Körper vom Hunger ausgezehrt. Doch ohne zurückzublicken lebt sie für den
Augenblick, ohne sich beirren zu lassen. Sie weiß, dass viele der Dorfbewohner
sie für seltsam halten, aber gerade ihre Beharrlichkeit, ihre Wut gegen
Ungleichbehandlung und ihr Wildheit, die sie in die Natur zieht, geben ihr die
Kraft bis an die Grenze des Erträglichen zu gehen.
Jacqueline O*Mahony thematisiert in ihrem Roman den Kampf
der Protagonistin gegen die ihr auferlegten Zwänge, die nicht nur durch
Gesetze, sondern auch durch Konventionen gegeben sind. Es ist tiefbewegend,
davon zu lesen, wie gering die englischen Landlords das Leben ihrer
Untergebenen schätzen. In Amerika, dem Land der von Honora erhofften
unbegrenzten Möglichkeiten, erkennt sie schnell, dass der von ihr ersehnten
Freiheit durch ihre Armut Grenzen gesetzt sind und sie dadurch bald zum
Spielball in den Händen ihrer Vorgesetzten wird. Später wird sie durch Androhungen
eingeschränkt. Sie strebt nicht nur danach, im eigenen Ermessen gehen zu können,
wohin immer sie will, sondern sie wünscht sich auch, dass ihre inneren Werte von
anderen erkannt werden.
„Sing, wilder Vogel, sing“ ist ein Roman voller Drama, aber
mit dem Flair des Abenteuers. Die irische Autorin Jacqueline O*Mahony schreibt
berührend und aufwühlend. Sie bleibt nah am Charakter ihrer Protagonistin, die
mit Hartnäckigkeit und Hoffnung im Herzen nach Eigenständigkeit im Leben sucht
und sich dabei weiterentwickelt. Sehr gerne empfehle ich das Buch weiter.