Autorin: Sarah Pines
Erscheinungsdatum: 21.08.2024
Im Roman „Der Drahtzieher“ von Sarah Pines wird es Herbst im
Jahr 1927 im Sauerland. Vor nicht allzu langer Zeit ist Theodor Hasselt, der
das Drahtzieher-Unternehmen seines Vaters übernommen hat, aus Südafrika
zurückgekehrt. Er ist mittleren Alters und lebt mit seiner Mutter in einer
herrschaftlichen Villa in Iserlohn. Ein Auftrag hatte ihn in den Süden Afrikas
geführt, wo er Alba kennenlernte. Sie ist eine Tochter aus der ersten Ehe
seiner angeheirateten Tante, die dort mit ihrem Ehemann eine Farm
bewirtschaftet. Schnell hatte es zwischen den beiden zu knistern begonnen. Er
bittet sie, seine Frau zu werden, auch weil sie von ihm angeblich schwanger
ist.
Bereits auf der zweiten Seite des Romans kommt Theodors Widersacher
in Thema Liebe ins Spiel: der wenig ältere Albert, seines Zeichens Sohn eines
Stahlfabrikanten. Bald nach der Ankunft von Alba hat er ein Auge auf sie
geworfen, während Theodors erste Freundin Marthe sich auf die Hochzeit mit ihm
freut. Albert ist Theodors bester Freund, denn sie erhielten eine ähnliche
strenge Erziehung und teilen gleiche Maßstäbe. Sie stehen jedoch in
finanzieller Hinsicht auch in ständiger Konkurrenz zueinander. Im Vergleich mit
ihm schneidet Theodor immer etwas schlechter ab. Als Leserin konnte ich
verstehen, dass der Drahtzieher darüber missmutig ist. Mit Alba an seiner Seite
erhofft er sich mehr Anerkennung in gesellschaftlichen Kreisen. Im Sauerland
wird aber zunehmend der diffuse Charakter seiner Geliebten offenbar.
Sarah Pines bleibt bei ihrer Geschichte nicht immer an der
Seite von Theodor, sondern beschreibt auch die Gedankenwelt von Alba, manchmal
auch von der gut betuchten Marthe. Albas Verhalten erklärt sich dem Lesenden,
nicht aber der Titelfigur, aus ihrer Kindheit und Jugend. Der Drahtzieher liebt
es, Anweisungen zu geben, sowohl im Unternehmen wie auch zu Hause, vor allem
bei der Gestaltung von Mahlzeiten und Tischtafeln. Alba versucht einiges, um
die nach außen getragene raue Schale von Theodor zu durchdringen. Sie möchte sich
aus den ihr vermittelten Tugenden befreien und gesellschaftliche Konventionen durchbrechen.
Zunehmend verlieren beide das angemessene Maß für einen liebevollen Umgang
miteinander. Sowohl Alba wie auch Marthe sind Frauen, die ihre eigenen Ideen
umsetzen, jedoch auf verschiedene Weise.
Die Handlung spielt Mitte der 1920er Jahre, aber trotz
gängiger Mode, Kunst und Musik stellte sich bei mir als Leserin kein tieferes
Eindruck der Zeit ein. Eventuell lag es an den überwiegend unabhängig
agierenden Frauen im Umfeld von Theodor, was gutzuheißen ist. Die Autorin nutzt
manchmal Ausdrücke mit Lokalkolorit. Neben Rückblicken auf Theodors Aufenthalt
in Afrika greift die Autorin greift sie hin und wieder vor und lässt die
Zukunft von Theodor, aber auch die des Sauerlands aufblitzen. Wenige Wochen nach
Theodors Wiederkehr ist kaum noch Bewegung im Geschehen rund um das Kleeblatt
der Liebenden. Die Stärke der Geschichte liegt mit Fokus auf den Charakteren
und ihrer Gedanken- und Gefühlswelt.
„Der Drahtzieher“ von Sarah Pines zeigt die misslich verlaufende Beziehung eines Paars, dass es nicht schafft, über den eigenen Schatten zu springen. Über der gesamten Erzählung liegt der Hauch eines Augenzwinkerns.