Mittwoch, 26. Februar 2025

Rezension: Für Polina von Takis Würger

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Für Polina
Autor: Takis Würger
Erscheinungsdatum: 26.02.2025
Verlag: Diogenes (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Leseexemplar
ISBN der Hardcover-Ausgabe: 9783257073355
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Im Fokus des Romans „Für Polina“ von Takis Würger steht Hannes Prager, der gemeinsam mit dem titelgebenden Mädchen aufwächst. Bereits in jungen Jahren verbindet ihn eine Freundschaft mit Polina, die durch Gegensätzlichkeit der Charaktere lebt. Als er vierzehn Jahre alt ist, verändert sich etwas in ihrer Beziehung. Dem wortkargen Hannes gelingt es nicht, Polina seine tiefen Gefühle zu bekennen. Stattdessen komponiert der musikalisch begabte Junge ein Lied, das nicht nur die Persönlichkeit der geliebten Person, sondern auch seine eigene Sehnsucht und Liebe widerspiegelt. Wenig später geschieht ein tragischer Unfall, der die Lebenswege von Polina und Hannes auseinanderführt.

Der Autor kreiert für seinen Protagonisten einen vielschichtigen familiären Hintergrund. Fritzi, die Mutter von Hannes, wird unerwartet schwanger und gibt ihre beruflichen Träume von einer Karriere als Juristin auf. Sie zieht als Untermieterin mit ihrem Sohn in eine verfallende Villa in einem Naturschutzgebiet zu einem zunächst abweisenden alten Herrn. Polina ist die Tochter einer Freundin von Fritzi, die gerne zu Besuch kommt.

Sowohl der Protagonist wie auch die Titelfigur sind facettenreich gestaltet. Hannes ist blondgelockt und eher von schmaler Statur. Von Geburt an fällt seine Introvertiertheit auf, die andere als wundersam empfinden. Für Musik entwickelt er ein außergewöhnlich ausgeprägtes Gehör. Das Klavierspielen bringt er sich mehr oder weniger autodidaktisch bei. Polina hingegen ist dunkelhaarig und lebhaft. Sie erzählt gerne und erklärt ihrem Freund die Welt. Als sie ins Teenageralter kommt, nehmen äußere Einflüsse einen immer breiteren Raum ein. Während Hannes sich in seiner Musik verliert, findet Polina Gefallen an anderen gleichaltrigen Jungen.

Einfühlsam und mit Zärtlichkeit zeichnet Takis Würger die Beziehung zwischen Hannes und Polina nach. Die Musik, die sein Protagonist erschafft, berührt die Zuhörer, so dass sie sich der darin enthaltenen Magie nicht entziehen können. Als Lesende glaubt man, die Melodie für Polina hören zu können. Obwohl Hannes nach dem Unfall seiner Mutter das Klavierspielen aufgibt, bleibt er den Klavieren auf ungewöhnliche Weise verbunden. Der Roman vermittelt einige Informationen rund um das Tasteninstrument.

Neben dem Coming-of-Age von Hannes und Paulina bindet die Geschichte schmerzliche Verluste, tragische Missverständnisse und die Liebe ein, die im Verborgenen blüht und sich ihre eigenen Wege sucht, um sich zu offenbaren. Der Roman „Für Polina“ von Takis Würger hinterlässt eine Melodie, die lange nachklingt. Sehr gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.

Rezension: Dunkle Momente von Elisa Hoven

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Dunkle Momente
Autorin: Elisa Hoven
Erscheinungstermin: 26.02.2025
Verlag: S. Fischer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783103976694

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Elisa Hoven verbindet in ihrem Roman „Dunkle Momente“ Straftaten, die an realen Fällen angelehnt sind, mit der fiktiven Geschichte der Protagonistin Eva Herbergen. Die Protagonistin ist seit über dreißig Jahren Strafverteidigerin, als die sie auch in jedem der im Buch vorgestellten neun Verbrechen fungiert. Mit Leidenschaft widmet sie sich der Verteidigung, um für ihre Mandantin oder ihren Mandanten einen Freispruch oder ein möglichst geringes Strafmaß zu erwirken. Dabei ist es nicht einfach, sich für jemanden einzusetzen, den nach eigener Meinung vermutlich schuldig ist.

Die Autorin ist Professorin für Strafrecht und Richterin an einem Verfassungsgerichtshof. Durch ihre genaue Kenntnis der auf die beschriebenen Straftaten angewendeten Gesetze wirken diese authentisch. Sie hat Fälle ausgewählt, die in besonderem Maße berührend sind oder von der Rechtsprechung her überraschen. Von einigen hat man eventuell in den Nachrichten gehört oder durch Social Media erfahren. Sie handeln von Kindersoldaten und Kannibalismus. Es geht aber auch um alltäglichere Vergehen, wenn beispielsweise eine Frau das Kind ihres Geliebten bestraft und ungeahnte Folgen sie zur Täterin machen oder ein Einbrecher selbst zum Opfer wird.

Eva Herbergen als Hauptfigur des Romans bleibt als Charakter recht blass. Ihre Rolle dient fast nur als Bindeglied zwischen den Fällen. Dennoch gelingt es der Autorin durch ihre Protagonistin Fragen der Moral aufzuwerfen und zu verdeutlichen, wie gering der Unterschied zwischen Verantwortung und Schuldlosigkeit vom Gesetz her ist. Sind Handeln auf Befehl und Unwissenheit strafmildernd? Kann ein unbescholtenes Leben mit vielen Wohltaten sich gegen ein einziges Verbrechen aufwiegen lassen? Gelingt es stets, hinter die Fassade zu schauen? Elisa Hoven lässt dem Lesenden die Möglichkeit, sich selbst mit dem Begriff der Gerechtigkeit auseinanderzusetzen. Manchmal ist ein einzelnes Wort des Gesetzestextes entscheidend für das Urteil.

Es zeigt sich jedoch auch immer wieder, dass Menschen Fehler machen. Die Protagonistin bedauert eine ihrer Entscheidungen, die zwar bereits jahrelang zurückliegt, deren Folgen sie aber nicht vergessen kann. Schon auf den ersten Seiten des Buchs nennt sie den Namen des damals Angeklagten. Auf die Vorstellung des Falls muss man bis zum Ende hin warten, was eine hintergründige Spannung aufkommen lässt. Ein dunkler Moment im Leben kann eines Menschen von seinem angedachten Weg abbringen.

Die von Elisa Hoven in ihrem Roman „Dunkle Momente“ beschriebenen Taten, die teils an den Rand des Erträglichen gehen, bringen den Lesenden zum Nachdenken, sie beunruhigen und hallen lange nach. Gerne empfehle ich den Roman weiter.


Dienstag, 25. Februar 2025

Rezension: Der Sternenstaubdieb von Chelsea Abdullah

 

Der Sternenstaubdieb
Autorin: Chelsea Abdullah
Hardcover: 576 Seiten
Erschienen am 15. Februar 2025
Verlag: Klett-Cotta
Link zur Buchseite des Verlags

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Loulie al-Nazari ist den meisten Menschen nur als die Mitternachtshändlerin bekannt. Bei ihr kann man mit dem nötigen Kleingeld magische Relikte mit ganz unterschiedlichen Effekten erwerben. Niemand weiß, dass sie diese mithilfe eines Dschinns und eines magischen Kompasses aufspüren kann. Käme es ans Licht, wären die Konsequenzen fatal, denn Dschinn werden in ihrer Welt vom Sultan, seinem Sohn Omar und dessen vierzig Räubern gnadenlos gejagt. Während eines Aufenthalts in der Hauptstadt Madinne wird Loulie vom Sultan gezwungen, einen Auftrag von ihm anzunehmen: Sie soll eine magische Lampe finden, die angeblich einen Dschinnkönig enthält und die vor langer Zeit im westlichen Sandmeer vergraben wurde. Die Reise soll sie gemeinsam mit Omar und der Räuberin Aisha bint Louas antreten. Doch Omar hat andere Pläne. Er bringt seinen jüngeren Bruder Mazen, der den Palast eigentlich nicht verlassen darf, dazu, an seiner statt zu gehen. Auch Loulies Dschinn Qadir ist in Menschenform mit von der Partie. Die ungleiche Gruppe erwartet eine abenteuerliche Reise, die so manche Gefahren birgt.

Zu Beginn des Romans lernte ich die Protagonistin Layla kennen, die unter dem Namen Loulie al-Nazari als Mitternachtshändlerin bekannt ist. Sie lässt sich fürstlich dafür bezahlen, das Auge eines Händlers mit einer magischen Flüssigkeit zu heilen, wobei sie natürlich nicht verrät, dass es sich um das Blut des Dschinns Quadir handelt. Dieser ist immer an ihrer Seite, seit Loulies ganzer Stamm Jahre zuvor von Unbekannten ausgelöscht wurde und er sie gefunden hat. Ich war sofort mitten drin in der Erzählung. Diese erschafft von Beginn an eine Atmosphäre von tausendundeiner Nacht, greift viele Geschichten und Motive daraus auf und interpretiert sie auf interessante Weise neu.

Bevor die Suche nach der magischen Lampe beginnt, nimmt sich der Roman Zeit, die unterschiedlichen Charaktere ausführlich vorzustellen. Die Kapitel sind nicht nur aus der Sicht von Loulie geschrieben, sondern immer wieder auch aus der von Mazen oder Aisha. So erfuhr ich mehr über deren Motive und konnte mich gut in sie hineinversetzen. Schon vor dem Aufbruch kommt es in Madinne zu gefährlichen Situationen, denn eine Schattendschinn treibt ihr Unwesen und sinnt auf Rache. Auch nachdem die Gruppe die Stadt verlassen hat gibt es bald einen ersten Zwischenfall, in den eine Dschinn verwickelt ist.

Der Roman ist eine Art Roadtrip durch tausendundeine Nacht, bei dem auf der Suche nach der magischen Lampe zahlreiche Gefahren lauern, die bewältigt werden müssen. Jeder Charakter hat Geheimnisse, die nach und nach ans Licht kommen und für unerwartete Wendungen sorgen. Die Gruppe erwarten Fallen, Hinterhalte und offene Angriffe, welche das Weiterkommen erschweren und immer wieder unmöglich erscheinen lassen. Die Art und Weise, auf welche die Figuren immer wieder in allerletzter Sekunde dem sicheren Tod entrinnen können, wirkte bisweilen unrealistisch. Insgesamt konnte mich „Der Sternenstaubdieb“ mit interessanten Charaktern, hohem Tempo, viel Spannung und seiner magischen Atmosphäre begeistern, sodass ich mich schon sehr auf die Fortsetzung freue!

Montag, 24. Februar 2025

Rezension: Der große Riss von Cristina Henríquez

 

Rezension von Ingrid Eßer

Titel Der große Riss
Autorin: Cristina Henríquez
Erscheinungsdatum: 18.02.2025
Verlag: Hanser (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband)
ISBN: 9783446282513

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Der Roman „Der große Riss“ von der US-Amerikanerin Cristina Henriquez basiert auf dem Bau des Panamakanals als Hintergrundthema. Mit dem Titel wird aber nicht die Tatsache angesprochen, dass die künstliche Wasserstraße das Land förmlich zweigeteilt hat. Vielmehr ist hiermit die Spaltung der Gesellschaft in Hinsicht auf Status, Hautfarbe, Sprache und Geschlecht während des Baus am Kanal gemeint. Die Autorin hat dazu einige Figuren geschaffen, die sie geschickt zueinander in Verbindung bringt, um die gesellschaftlichen Verhältnisse zur damaligen Zeit zu verdeutlichen.

Francisco ist ein älterer Fischer, der seinen Beruf aus Überzeugung ausübt und mit seinem erwachsenen Sohn Omar an der pazifischen Küste lebt. Omar hat entschieden, sich als Arbeiter am Kanalbau zu beteiligen, was bei seinem Vater auf Unverständnis stößt. Die 16-jährige Ada aus Barbados hat ohne das Wissen ihrer Mutter Lucille ein Postschiff an die Atlantikküste bestiegen. In Panama möchte sie sich eine Arbeit suchen, um genügend Geld für eine dringend benötigte Operation ihrer Schwester Millicent zu verdienen.

Eine Weile vor Ada sind bereits John und Marian Oswald aus Tennessee in Panama eingetroffen. Während John einem Ruf als Erforscher der Malaria gefolgt ist, hatte die studierte Botanikerin Marian während ihrer Ehe nie die Möglichkeit in ihrem Beruf zu arbeiten. Das ändert sich auch in der neuen Heimat nicht. Die Frau des Fischhändlers Joaquín, an den Francisco seine Ware liefert, stammt aus der Stadt Gatún, das dem Kanal weichen und ans gegenüberliegende Ufer umgesiedelt werden soll. An der Seite seiner Frau versucht er die Öffentlichkeit auf die Sorgen der Einwohner aufmerksam zu machen.

Die Protagonistinnen und Protagonisten erleben Freud und Leid in teils parallel ablaufenden Handlungen, die mit Ausnahme des Epilogs im Jahr 1907 spielen. Die Autorin bringt zum Ausdruck, dass Francisco frei in seiner Tätigkeit als Fischer ist, wohingegen sich Omar den Ansprüchen eines Vorarbeiter in Bezug auf die Arbeitsleistung zu beugen hat. Allein aufgrund der Nuancen der Hautfarbe wird die Arbeiterschaft in diejenigen aufgesplittet, die in Silber oder in Gold entlohnt werden. In den Geschäften sind entsprechende Bereiche abgetrennt und auch bei der medizinischen Versorgung gibt es eine entsprechende Aufteilung.

Anhand von Marian stellt die Cristina Henriquez die typische Rolle einer Frau in der gehobenen Gesellschaft dar. Dahingegen hat die gewerbslose Frau des Fischhändlers einen größeren Handlungsspielraum, wobei dieser durch die große Zuneigung ihres Ehemanns nicht nur geduldet, sondern auch unterstützt wird. Die Geschichte erzählt wenig vom Fortschritt der Arbeiten am Kanal. Stattdessen erweitert die Autorin die auf wenigen Monaten basierende Handlung durch die Erzählung der Schicksale ihrer Figuren, bei denen sie über Landesgrenzen hinweg auf deren Vergangenheit schaut.

Cristina Henriquez erzählt in ihrem Roman „Der große Riss“, in dem es gefühlt ständig regnet, von den Menschen, die auf verschiedene Weise durch den Bau des Panamakanals betroffen waren. Anhand der Charaktere spiegelt sie Licht und Schatten des gesellschaftlichen Klimas wider, zeigt aber ebenso ein Stück des Alltags der Personen mit Höhen und Tiefen. Gerne empfehle ich das Buch weiter.


Freitag, 21. Februar 2025

Rezension: Mickey und Arlo von Morgan Dick

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Mickey und Arlo
Autorin: Morgan Dick
Übersetzerin aus dem Englischen: Wibke Kuhn
Erscheinungsdatum: 18.02.2024
Verlag: hanserblau (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783446281097
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Michelle Morris, die Mickey gerufen wird, ist 33 Jahre alt und Vorschullehrerin. Nachdem sich ihre Eltern vor langer Zeit getrennt haben, hat sie den Mädchennamen ihrer Mutter angenommen. Charlotte Kowalski, genannt Arlo, ist 25 Jahre alt und Psychologin. Die beiden sind Halbschwestern, ohne dass sie sich je kennengelernt haben. In ihrem Debütroman „Mickey und Arlo“ macht die Kanadierin Morgan Dick sie zu ihren Protagonistinnen. Die Covergestaltung in Rotorange mit grün ist lebhaft und verströmt Freude und Energie. Die zwei Frauen neben der Tür drücken Abweisung aus. Beides spiegelt die Charakteristik des Romans in Teilen wider.

Als der Vater von Mickey und Arlo stirbt, überbringt der Anwalt Tom Samson als Erbverwalter der älteren Tochter die Nachricht, dass sie mehrere Millionen Dollar erhalten wird. Daran ist die Bedingung gebunden, dass sie sieben Psychotherapiestunden absolviert. Damit möchte der Vater sicherstellen, dass Mickey ihre Probleme aufarbeitet, die er dadurch entstanden glaubt, dass er die Familie verlassen hat. Mickey sucht sich eine Praxis und beginnt ihre Therapie bei der dort angestellten Arlo. Die Frauen wissen zu Beginn der Behandlungsstunden nicht, dass sie verwandt sind. Im Gegensatz zu ihrer Schwester erbt die Psychologin kein Geld, obwohl sie ihren Vater aufopferungsvoll bis zum Ende gepflegt hat. Beiden ist nicht bewusst, dass jede von ihnen viel größere Sorgen hat als das Ableben des Vaters.

Morgan Dick schlägt in ihrem Roman zunächst heitere Töne an, wenn Mickey darüber nachdenkt, ob und wann sie Alkohol konsumieren kann. Eine bestimmte Begebenheit in der Vorschule, in der sie unterrichtet, bringt ihr berufliche Probleme ein. Sie hält sich für emotional gefestigt genug, um damit allein klarzukommen, denn sie glaubt, dass sie von früheren Therapien immer noch profitiert. Auch Arlo hat Sorgen im Beruf. Genau wie ihre Schwester weigert sie sich, Hilfe zu suchen, um den Konflikt aufzuarbeiten, weil sie sich durch ihre Ausbildung für belastbar hält.

In der Erzählung kommt es immer wieder zu amüsanten Situationen, die auch mal über die Strenge schlagen. Demgegenüber stehen die schmerzlichen Empfindungen der Schwestern, die jedoch zunehmend selbst reflektieren und sich für die Meinung von anderen öffnen. Obwohl beide den Tod des Vaters auf verschiedene Weise verarbeiten, lernen sie im Laufe dieses Prozesses schöne als auch belastende Erinnerungen zuzulassen.

„Mickey und Arlo“ von Morgan Dick ist ein Roman, der sich mit Tiefgang dem Thema des Alkoholismus widmet. Genauso wie es oft in der Realität geschieht, wird das Problem immer wieder überspielt. Gleichzeitig zeigt die Geschichte die unterschiedlichen Möglichkeiten, sich mit der Verarbeitung des Tods einer nahestehenden Person auseinanderzusetzen. Dennoch gibt die Autorin durch vergnügliche Momente den Schilderungen eine gewisse Leichtigkeit. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung. 


Dienstag, 18. Februar 2025

Rezension: Achtzehnter Stock von Sara Gmuer

 


Achtzehnter Stock
Autorin: Sara Gmuer
Hardcover: 224 Seiten
Erschienen am 18. Februar 2025
Verlag: hanserblau
Link zur Buchseite des Verlags

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Wanda lebt gemeinsam mit ihrer fünfjährigen Tochter Karlie in einem Berliner Plattenbau im achtzehnten Stock. Sie ist Schauspielerin, doch ihr letztes Engagement, ein Werbedreh, liegt schon eine ganze Weile zurück. Voller Ehrgeiz besucht sie dennoch ein Casting nach dem anderen, immer mit dem großen Ziel vor Augen, es aus der Platte herauszuschaffen und sich ein neues Leben aufzubauen. Doch ausgerechnet als eine Rolle für sie zum Greifen nah ist, wird Karlie schwer krank. Kann Wanda ihr Leben als alleinerziehende Mutter mit dem einer Schauspielerin verbinden, um ihren Traum zu verwirklichen?

Gleich zu Beginn des Romans steht Wanda vor einem ersten Dilemma: Eigentlich hätte sie ein Casting, doch ihre Tochter hat Schnupfen. Unterstützung in der Betreuung erhält sie gelegentlich von der Mutter von Karlies Freundin Aylin, die ebenfalls im Haus wohnt, doch Wanda möchte sie nicht ständig fragen. Ein Kontakt zu Karlies Erzeuger, der eine neue Familie hat, kommt für Wanda nicht in Frage. Der Spagat zwischen der Kinderbetreuung und Wandas Versuchen, Karriere zu machen, zieht sich als großes Thema durch das gesamte Buch und zeigt die Zerreißprobe, der sich alleinerziehende Mütter jeden Tag stellen.

Da der gesamte Roman aus der Ich-Perspektive geschrieben ist, erhielt ich schnell einen guten Eindruck von Wanda: Sie sieht ihre Lebens- und Wohnsituation als etwas Vorübergehendes an, die sie mit dem Durchbruch als Schauspielerin hinter sich lassen wird. Die anderen Frauen im Haus, mit denen sie Kontakt hat, belächeln sie nur für ihre großen Pläne. Da ist Aylins Mama, deren Namen Wanda nicht zu kennen scheint und die von Hartz IV lebt, die mit Zwillingen schwangere Ming, deren Partner sie aufgrund seiner Rentenpunkte nicht heiraten will sowie Esther, die für sehr wenig Geld sehr viel arbeitet.

Karlies schwere Erkrankung nimmt vor allem in der ersten Buchhälfte überraschend viel Raum ein, bevor es schließlich mehr um die im Klappentext angekündigte, einmalige Chance geht, die Wanda erhält. Sie taucht in eine Welt ein, in der Geld keine Rolle spielt, gute Kontakte das Wichtigste sind und wenige mächtige Persönlichkeiten über die Schicksale vieler entscheiden. Mit gemischten Gefühlen beobachtete ich, was diese Erlebnisse mit Wanda machen. Bald kann sie die Schattenseiten ihres neues Lebens nicht mehr ignorieren und ich war gespannt, zu welchen Entscheidungen sie das bringen wird.

„Achtzehnter Stock“ dreht sich um den Spagat zwischen Kinderbetreuung und Selbstverwirklichung, das Aufeinandertreffen verschiedener sozialer Schichten, die Kraft von mehr oder weniger freiwilligen Freundschaften, der Suche nach einem Ort zum Ankommen und die Frage, ob die Erfüllung eines Traums wirklich so traumhaft ist wie angekommen. Ein kraftvoller Roman, der schnell gelesen ist und doch lange nachhallt.

Sonntag, 16. Februar 2025

Rezension: Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab? Kleiner Hase, das bist du! von Sam McBratney und Anita Jeram

Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab? Kleiner Hase, das bist du!
Autor: Sam McBratney
Illustratorin: Anita Jeram
Übersetzerin: Stephanie Menge
Pappbilderbuch: 12 Seiten
Erschienen am 29. Januar 2025
Verlag: FISCHER Sauerländer
Link zur Buchseite des Verlags

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Kleiner Hase, das bist du“ ist eine neue Geschichte aus der Welt der Reihe „Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab?“. Es ist die letzte Geschichte, die der Autor Sam McBratney vor seinem Tod geschrieben hat. Auf den zwölf Seiten dieses Pappbilderbuches erkunden der große und der kleine Hase die Natur. Der große Hase macht den kleinen Hasen auf Lebewesen aufmerksam, welche dieser benennen soll. Nachdem er im Teich eine Kaulquappe entdeckt hat, soll er noch einmal hinsehen und erblickt sein eigenes Spiegelbild. Auf der letzten Seite im Buch befindet sich eine Spiegelfolie, mit der kleine Entdecker ebenfalls in den Spiegel sehen können.

Mir gefällt diese kurze, liebevolle Geschichte sehr gut. Sie ist zum Vorlesen auch schon für die Kleinsten geeignet. Die gelungenen Illustrationen von großem und kleinem Hasen kommen in diesem großformatigen Pappbilderbuch voll zur Geltung und laden zum Erkunden ein. Die Spiegelfolie auf der letzten Seite ist eine schöne Idee. Sehr gerne empfehle ich das Buch weiter!


Donnerstag, 13. Februar 2025

Rezension: Wenn wir lächeln von Mascha Unterlehberg

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Wenn wir lächeln
Autorin: Mascha Unterlehberg
Erscheinungsdatum: 11.02.2025
Verlag: Dumont (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783755800361
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Jara und Anto sind sechszehn Jahre alt. Sie stehen auf einer Brücke, die über die Ruhr führt. Anto schleudert einen Baseballschläger ins Wasser, dann springt sie hinterher. Jara bleibt zurück und ist unschlüssig, was sie tun soll. Ausgehend von dieser Szene erzählt Mascha Unterlehberg in ihrem ersten Roman von der engen Freundschaft der beiden Teenager in den Nullerjahren.

Kennengelernt haben sich Jara und Anto beim Fußballspielen mit den Jungen. Wenig später sind sie unzertrennlich, doch ihre Lebenswelten sind unterschiedlich. Antos Mutter ist wohlhabend und selten zu Hause, während Jara in bescheideneren Verhältnissen aufwächst. Doch Geld spielt nie eine Rolle in ihrer Beziehung. Was sie haben möchten und nicht bezahlen wollen oder können, stehlen sie einfach. Sie tauschen Kleidung, rauchen, kiffen, trinken Alkohol und übernachten gemeinsam. Zusammen ziehen sie durch die Stadt und machen sie unsicher, manchmal im wahrsten Sinne des Wortes.

Jara erzählt die Geschichte aus ihrer Perspektive, wodurch ihre Gefühle greifbarer werden. Sie hat zahlreiche Fantasien, in denen sich ihre Ängste widerspiegeln. In bestimmten Situationen malen ihre Gedanken sich das Schlimmstmögliche aus. Das geschieht im Alltag, aber wenn männliche Personen in der Nähe sind, dann steigert sich ihr Imaginieren ins Beängstigende, basierend auf verstörenden Erfahrungen. Sie ist voller Wut, die Anto mit ihr teilt. Das, was sie gemeinsam beim Ausgehen erleben, schweißt die Freundinnen zusammen. Ihr Zusammenhalt und die gegenseitige Rückendeckung geben ihnen Sicherheit. Doch unterschwellig sind Neid und Geheimnisse vorhanden.

Was nur bloße Vorstellung ist und was Realität, bleibt beim Lesen an manchen Stellen ungewiss. Durch Mascha Unterlehbergs ungewöhnlichen Schreibstil wird dies unterstrichen. Sie verzichtet auf Anführungszeichen und beginnt ein Wort mit einem Großbuchstaben nach einem Umbruch, auch wenn die vorherige Zeile mit einem Komma der wörtlichen Rede endete. Doppelten Umbrüche markieren entweder die Fortsetzung der Szene oder eine gedankliche Rückkehr zu einem prägenden Punkt in ihrer Freundschaft wie beispielsweise zu jener beängstigenden Situation auf der Brücke.

„Wenn wir lächeln“ von Mascha Unterlehberg ist ein eindringlich geschriebener Roman in einem eigenwilligen Stil über eine Jugendfreundschaft in den Nullerjahren. Sie ist ein Rückhalt gegen Übergrifflichkeiten und unterstützt eine Suche danach, wie weit die eigenen Grenzen überschritten werden können. Eine Geschichte, die bewegt und nachdenklich stimmt. 

Dienstag, 11. Februar 2025

Rezension: Nacht der Ruinen von Cay Rademacher

 


Rezension von Ingrid Eßer

Titel: Nacht der Ruinen
Autor: Cay Rademacher
Erscheinungsdatum: 11.02.2025
Verlag: Dumont (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783755800347
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Der Prolog im Kriminalroman „Nacht der Ruinen“ von Cay Rademacher führte mich als Leserin in den Juli des Jahres 1938. Die beiden 17-jährigen jüdischen Freunde Joseph und Jakub treffen sich auf der Domterasse in Köln mit der gleichaltrigen Waise Hilde, die von beiden umschwärmt wird. Unvermeidlich bringt sie ihren jüngeren Bruder Paul mit. Die Anfeindungen gegen die jüdische Bevölkerung sind für die zwei Freunde bereits deutlich spürbar.

Am 2. März 1945 erlebt Köln einen letzten schweren Bombenangriff, der die Stadt großflächig in Trümmer legt. Die Geschichte beginnt mit einer ausführlichen Schilderung des Flugs einer in England gestarteten B-17. Dem amerikanischen Piloten Rohrer gelingt nach einem Treffer der Maschine durch die deutsche Flakabwehr der Ausstieg. Mit dem Fallschirm landet er mitten in einer Kölner Kirche und wird dort durch einen Kopfschuss getötet. Einige Stunden später erhält Joseph, der inzwischen als US-Soldat unter dem Namen Joe dient, den Auftrag, den Mordfall aufzuklären. Gleichzeitig hofft er darauf, seine Jugendfreunde Jakub und Hilda wiederzufinden. Doch das strikte Fraternisierungsverbots der US-Armee zwingt ihn, private Kontakte zu Zivilisten zu vermeiden.

Cay Rademacher gelingt es eindrucksvoll, die bedrückende Atmosphäre der Tage zwischen dem 2. Und 19. März 1945 einzufangen. Köln ist eine Trümmerlandschaft, viele sind obdachlos. Während hochrangige NS-Parteimitglieder längst auf die linke Rheinseite geflohen sind, von der aus die rechte immer noch verteidigt wird. Dank einer umfangreichen Recherche beschreibt der Autor Joes Wege durch die Stadt und die noch erhaltenen Gebäude mit großer Detailtreue, so dass das Geschehen gut vorstellbar ist.

Die Aufklärung des Mordes an dem Piloten Rohrer ist kleinteilig und bleibt durch einige geschickte Wendungen bis zum Ende spannend. Der Autor zeigt die Unsicherheit vieler Kölnerinnen und Kölner als Besiegte, die nicht wissen, wie sie sich gegenüber den Besatzern verhalten sollen. Dennoch gibt es genügend Bürgerinnen und Bürger, die einfach weitermachen und sich selbstbewusst behaupten. Das Taktieren derjenigen, die die Fäden ziehen, machen Joe seine Arbeit nicht leichter. Durch seine frühere Freundschaft mit Jakub fließt auch ein Teil der Geschichte der Kölner Juden in den Roman ein.

Neben fiktiven Figuren sind in den wenigen Tagen, in denen die Geschichte spielt, einige bekannte Persönlichkeiten in der Stadt am Rhein unterwegs, was historisch verbürgt ist. Im Nachwort erklärt der Autor, welche Teile des Romans auf wahren Begebenheiten beruhen und welche er fiktionalisiert hat. Zudem verweist er auf weiterführende Literatur für diejenigen, die sich intensiver mit den geschilderten Ereignissen auseinandersetzen möchten.

In seinem Kriminalroman „Nacht der Ruinen“ lässt Cay Rademacher eine in der Belletristik kaum beschriebene Episode der Historie lebendig werden. Er zeigt ein realistisches Bild der zerstörten Stadt und des Interagierens der US-Besatzer mit der Zivilbevölkerung. Die Ermittlungen rund um den Mord an einem alliierten Soldaten erweisen sich für den Protagonisten Joe als schwierig, doch sie führen ihn gleichzeitig auf die Spur seiner Jugendfreunde. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für diese bewegende Geschichte.


Montag, 3. Februar 2025

Rezension: Klapper von Kurt Prödel

 


Rezension: Ingrid Eßer

Titel: Klapper
Autor: Kurt Prödel
Erscheinungsdatum: 30.01.2025
Verlag: park X Ullstein (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783988160249
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In seinem Debütroman „Klapper“ nimmt Kurt Prödel den Lesenden mit in das Jahr 2011, als seine Titelfigur die neue Klassenkameradin Vivi-Marie kennenlernt, die sich „Bär“ nennen lässt. Jahre später, im Frühjahr 2025, sitzt Klapper, der mit bürgerlichem Namen Thomas heißt, vor seinem Rechner. Er möchte den Wert seiner virtuellen Waffen eines Computerspiels überprüfen, das er früher häufig gespielt hat. Dabei fällt ihm das Profilbild einer Mitspielerin auf. Es gehört zum Account von Bär unter dem der Vermerk steht, dass die Gamerin seit mehr als dreizehn Jahren offline ist. Für mich als Leserin stellte sich die Frage, welcher Umstand dazu geführt hat.

Klapper ist ein Außenseiter in seiner Klasse. Er ist ein Nerd, der die gesamten Schulferien in seinem Zimmer vor dem PC verbringt. Seinen Spitznamen verdankt er den deutlich hörbaren Klickgeräuschen seiner Gelenke, was ihn häufig zum Ziel von Spottversen macht. Das ändert sich, als Bär sich im Unterricht neben ihn setzt und sich bei einer Auseinandersetzung mit einem Mitschüler auf seine Seite schlägt.

Mit seinen Eltern wohnt Thomas in einem Neubaugebiet am Rande einer Kleinstadt im Westen Deutschlands. Vivi-Marie hingegen lebt in einer wohlhabenderen Gegend. In ihrem Zimmer unter dem Dach widmet sie sich genauso leidenschaftlich wie Thomas dem Gaming. Sie ist groß und kräftig. Im Vergleich zu Klapper ist sie kommunikationsfreudiger und integriert sich rasch in die Klassengemeinschaft. Sie bemüht sich, ihn aus seiner Zurückgezogenheit herauszuholen.

Die Erzählung wechselt zwischen zwei Zeitebenen, wobei die Gegenwart in nur wenigen Szenen beleuchtet wird. Sowohl Klapper als auch Bär sind gut konstruierte, interessante Hauptfiguren. Bei Vivi-Marie fehlte mir aber manchmal eine genauere Erklärung für ihre Ansichten, wodurch ich ihre Handlungen nicht immer nachvollziehen konnte.

Die Beschreibung des Geschehens erscheint aus dem Leben gegriffen. Fast jeder Lesende, der zu Beginn der 2010er Jahre aufgewachsen ist, kennt vermutlich jemanden wie Klapper. Ich konnte mich gut in ihn und sein Umfeld einfühlen. Am Ende der Geschichte überrascht der Roman mit einer unerwarteten Wendung.

In seinem Roman „Klapper“ erzählt Kurt Prödel von einer Freundschaft zweier Computerfreaks, die dabei sind, sich selbst zu finden. Vor allem der Schluss sorgt dafür, dass die Geschichte nachhallt. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.

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