Rezension von Ingrid Eßer
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Elisa Hoven verbindet in ihrem Roman „Dunkle Momente“
Straftaten, die an realen Fällen angelehnt sind, mit der fiktiven Geschichte
der Protagonistin Eva Herbergen. Die Protagonistin ist seit über dreißig Jahren
Strafverteidigerin, als die sie auch in jedem der im Buch vorgestellten neun
Verbrechen fungiert. Mit Leidenschaft widmet sie sich der Verteidigung, um für
ihre Mandantin oder ihren Mandanten einen Freispruch oder ein möglichst
geringes Strafmaß zu erwirken. Dabei ist es nicht einfach, sich für jemanden
einzusetzen, den nach eigener Meinung vermutlich schuldig ist.
Die Autorin ist Professorin für Strafrecht und Richterin an
einem Verfassungsgerichtshof. Durch ihre genaue Kenntnis der auf die
beschriebenen Straftaten angewendeten Gesetze wirken diese authentisch. Sie hat
Fälle ausgewählt, die in besonderem Maße berührend sind oder von der
Rechtsprechung her überraschen. Von einigen hat man eventuell in den
Nachrichten gehört oder durch Social Media erfahren. Sie handeln von
Kindersoldaten und Kannibalismus. Es geht aber auch um alltäglichere Vergehen,
wenn beispielsweise eine Frau das Kind ihres Geliebten bestraft und ungeahnte
Folgen sie zur Täterin machen oder ein Einbrecher selbst zum Opfer wird.
Eva Herbergen als Hauptfigur des Romans bleibt als Charakter
recht blass. Ihre Rolle dient fast nur als Bindeglied zwischen den Fällen. Dennoch
gelingt es der Autorin durch ihre Protagonistin Fragen der Moral aufzuwerfen
und zu verdeutlichen, wie gering der Unterschied zwischen Verantwortung und
Schuldlosigkeit vom Gesetz her ist. Sind Handeln auf Befehl und Unwissenheit
strafmildernd? Kann ein unbescholtenes Leben mit vielen Wohltaten sich gegen
ein einziges Verbrechen aufwiegen lassen? Gelingt es stets, hinter die Fassade
zu schauen? Elisa Hoven lässt dem Lesenden die Möglichkeit, sich selbst mit dem
Begriff der Gerechtigkeit auseinanderzusetzen. Manchmal ist ein einzelnes Wort
des Gesetzestextes entscheidend für das Urteil.
Es zeigt sich jedoch auch immer wieder, dass Menschen Fehler
machen. Die Protagonistin bedauert eine ihrer Entscheidungen, die zwar bereits
jahrelang zurückliegt, deren Folgen sie aber nicht vergessen kann. Schon auf
den ersten Seiten des Buchs nennt sie den Namen des damals Angeklagten. Auf die
Vorstellung des Falls muss man bis zum Ende hin warten, was eine hintergründige
Spannung aufkommen lässt. Ein dunkler Moment im Leben kann eines Menschen von
seinem angedachten Weg abbringen.
Die von Elisa Hoven in ihrem Roman „Dunkle Momente“ beschriebenen
Taten, die teils an den Rand des Erträglichen gehen, bringen den Lesenden zum
Nachdenken, sie beunruhigen und hallen lange nach. Gerne empfehle ich den Roman
weiter.