Der Prolog im Kriminalroman „Nacht der Ruinen“ von Cay
Rademacher führte mich als Leserin in den Juli des Jahres 1938. Die beiden
17-jährigen jüdischen Freunde Joseph und Jakub treffen sich auf der Domterasse
in Köln mit der gleichaltrigen Waise Hilde, die von beiden umschwärmt wird. Unvermeidlich
bringt sie ihren jüngeren Bruder Paul mit. Die Anfeindungen gegen die jüdische
Bevölkerung sind für die zwei Freunde bereits deutlich spürbar.
Am 2. März 1945 erlebt Köln einen letzten schweren
Bombenangriff, der die Stadt großflächig in Trümmer legt. Die Geschichte
beginnt mit einer ausführlichen Schilderung des Flugs einer in England
gestarteten B-17. Dem amerikanischen Piloten Rohrer gelingt nach einem Treffer
der Maschine durch die deutsche Flakabwehr der Ausstieg. Mit dem Fallschirm
landet er mitten in einer Kölner Kirche und wird dort durch einen Kopfschuss
getötet. Einige Stunden später erhält Joseph, der inzwischen als US-Soldat unter
dem Namen Joe dient, den Auftrag, den Mordfall aufzuklären. Gleichzeitig hofft
er darauf, seine Jugendfreunde Jakub und Hilda wiederzufinden. Doch das strikte
Fraternisierungsverbots der US-Armee zwingt ihn, private Kontakte zu Zivilisten
zu vermeiden.
Cay Rademacher gelingt es eindrucksvoll, die bedrückende
Atmosphäre der Tage zwischen dem 2. Und 19. März 1945 einzufangen. Köln ist eine
Trümmerlandschaft, viele sind obdachlos. Während hochrangige NS-Parteimitglieder
längst auf die linke Rheinseite geflohen sind, von der aus die rechte immer
noch verteidigt wird. Dank einer umfangreichen Recherche beschreibt der Autor Joes
Wege durch die Stadt und die noch erhaltenen Gebäude mit großer Detailtreue, so
dass das Geschehen gut vorstellbar ist.
Die Aufklärung des Mordes an dem Piloten Rohrer ist
kleinteilig und bleibt durch einige geschickte Wendungen bis zum Ende spannend.
Der Autor zeigt die Unsicherheit vieler Kölnerinnen und Kölner als Besiegte,
die nicht wissen, wie sie sich gegenüber den Besatzern verhalten sollen.
Dennoch gibt es genügend Bürgerinnen und Bürger, die einfach weitermachen und sich
selbstbewusst behaupten. Das Taktieren derjenigen, die die Fäden ziehen, machen
Joe seine Arbeit nicht leichter. Durch seine frühere Freundschaft mit Jakub fließt
auch ein Teil der Geschichte der Kölner Juden in den Roman ein.
Neben fiktiven Figuren sind in den wenigen Tagen, in denen
die Geschichte spielt, einige bekannte Persönlichkeiten in der Stadt am Rhein
unterwegs, was historisch verbürgt ist. Im Nachwort erklärt der Autor, welche
Teile des Romans auf wahren Begebenheiten beruhen und welche er fiktionalisiert
hat. Zudem verweist er auf weiterführende Literatur für diejenigen, die sich
intensiver mit den geschilderten Ereignissen auseinandersetzen möchten.
In seinem Kriminalroman „Nacht der Ruinen“ lässt Cay
Rademacher eine in der Belletristik kaum beschriebene Episode der Historie
lebendig werden. Er zeigt ein realistisches Bild der zerstörten Stadt und des
Interagierens der US-Besatzer mit der Zivilbevölkerung. Die Ermittlungen rund
um den Mord an einem alliierten Soldaten erweisen sich für den Protagonisten
Joe als schwierig, doch sie führen ihn gleichzeitig auf die Spur seiner
Jugendfreunde. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für diese bewegende
Geschichte.