Rezension von Ingrid Eßer
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Trotz knapper finanzieller Mittel macht sich Familie Hormann
in den 1980er Jahren auf den Weg in den Süden und fährt so lange „Bis die Sonne
scheint“. Der gleichnamige autobiografische Roman von Christian Schünemann erzählt
die Geschichte seiner Familie über mehrere Generationen hinweg, bis hin zu seinen
Großeltern. Die Namen hat der Autor geändert.
Kurz vor der Konfirmation des 15-jährigen Daniel Hormanns,
der als Alter Ego des Autors fungiert, regnet es wieder durch das marode Dach
des Elternhauses. Daniel lebt mit seinen Eltern und drei Geschwistern auf dem
Land in der Nähe von Bremen. An diesem Abend belauscht er ein Gespräch seines
Vaters mit seiner Mutter aus dem er schließt, dass deren Probleme gravierender
sind, als er bisher ahnte und vermutet, dass es Sorgen finanzieller Art sind. In
Erwartung seines anstehenden großen Fests hatte Daniel sich darauf gefreut,
schick eingekleidet zu werden. Außerdem hatte er gehofft, viele Verwandte
einladen zu können, die ihn großzügig mit hohen Geldsummen beschenken würden. Während
innerhalb der Familie an allen Ecken gespart wird, bemühen sich seine Eltern,
nach außen den schönen Schein von gut Verdienenden zu wahren.
Der Autor spannt in seiner Familiengeschichte einen weiten
Bogen. Seine in Oberschlesien geborene und später heimatvertriebene Mutter Marlene
hat sich Mitte der 1950er Jahre den Wunsch nach Abitur und Studium nicht
erfüllen können. Stattdessen musste sie auf Gehiß ihrer Mutter mit ihrem Gehalt
zum Familieneinkommen beitragen. Die Mutter von Daniels Vater Siegfried dagegen
hat sich seit der Weltkriegszeit von ihren Kindern und ihrem Mann distanziert.
Siegfried selbst hat sich für eine Beamtenlaufbahn entschieden, träumte aber insgeheim
davon, Opernsänger zu werden. Sowohl Marlene als auch Siegfried sind überzeugt,
dass das Leben noch mehr für sie bereithält. Auch wenn aktuell kein
finanzielles Polster vorhanden ist, halten sie weiterhin an Träumen fest, die
sich aber im Laufe der Zeit geändert haben.
Gerne habe ich mich als Leserin mit in die 1980er Jahre
nehmen lassen. Weil ich im Alter der ältesten Tochter der Familie Hormann bin,
konnte ich dank der zahlreichen Details über diese Zeit in Erinnerungen
schwelgen. Christian Schünemann lässt das Lebensgefühl der damaligen Zeit authentisch
aufleben, unter anderem durch die Erwähnung von Filmen und Musiktiteln. Nach
den entbehrungsreichen Kriegs- und Nachkriegsjahren ermöglicht inzwischen der
wirtschaftliche Aufschwung, dass ein Durchschnittverdiener sich einiges leisten
kann. Technologische Fortschritte machen die Zukunft spannend. Die Kapitel, die
in den 80er Jahren spielen und von Daniel in Ich-Perspektive erzählt werden,
unterscheiden sich von denen mit Rückblicken auf die Familiengeschichte in
auktorialen Erzählform durch eine Überschrift mit französischen Vokabeln.
Der Roman „Bis die Sonne scheint“ von Christian Schünemann berührt mit Begebenheiten innerhalb der Familie des Autors, die über fünf Jahrzehnte zurückreichen. Durch die gewählte Ich-Erzählform des Protagonisten, der den Autor verkörpert, wurden dessen Gefühle deutlich über das diffuse Verhalten seiner Eltern, die bemüht waren, sich nach außen hin nicht von anderen Familien abheben zu wollen. Gleichzeitig möchten sie sich aber dennoch ihre Träume von einem schönen erfüllten Lebens nicht nehmen lassen. Sehr gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.